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In seiner 13. «WoZ»-Kolumne vom 18. November 2004 verliert sich José Maria in einem «Sunset Diner» etwas ausserhalb von New York. Dort sucht er zwischen Kaffeemaschine und holländischem Plunder nach einem Thema für seinen Text – vergeblich, doch am Horizont finden seine von der Schreibpflicht durch die Welt gehetzten Augen dann schliesslich doch noch ein wenig Trost.
Ein typisch amerikanisches Diner-Restaurant.

13. Allein im «Sunset Diner» («Endstation»)

Es kam, wie es kommen musste. Frei sind wir Schreiber j a nie, denn immer lauert irgendwo der nächste Abgabetermin, die nächste Texthürde, das nächste schrecklich leere Blatt. So richtig lässt einen das auch nie los - und wenn man gerade Mal ein paar Stunden nicht geschrieben hat, dann fühlt man sich schnell ein wenig unnütz, ein wenig schuldig, ein wenig faul. – So ist es mir auch in den letzten Tagen ergangen – obwohl ich in New York war, wo es ja Ablenkung genug gibt. Endlos bin ich durch Manhattan gewandert – auf der Suche nach einem Thema für meinen Beitrag in der WoZ. Ich bin die Spirale des Guggenheim hoch und wieder runter gestiegen, war im Metropolitan und im Whitney Museum of Art. Ja ich war sogar im Smithsonian Institute, wo ich in einer Sonderschau zur Korbflechtkunst der Indianer auf Eingebung hoffte – vergeblich. Am dritten Tag war mir klar: Ich musste raus aus der Stadt, an die Luft, sonst würde aus der Sache nichts werden.

Also bestieg ich am Columbus Circle die Subway «A» und fuhr in Richtung Süden los. Als Insulaner fühle ich mich immer etwas unwohl in diesen Blechgurken, die da mit einem Affentempo durch die Erde schlottern. So war es auch dieses Mal. Manches in dieser lauten Unterwelt gab mir Rätsel auf – etwa der Chinese mir gegenüber, der es trotz offenkundigem Tiefschlaf schaffte, den halben Liter Kaffee in seinen Händen nicht fallen zu lassen. Anderes machte mir eher ein wenig Angst, zum Beispiel der Typ neben mir. Schon für die Art, wie er auf seinem Kaugummi herum biss, hätte er einen Waffenschein gebraucht, doch damit nicht genug: Er blätterte ausserdem in einem Katalog für Pumpguns, Präzisionsgewehre, Revolver und Tarnanzüge. Auch sein Deodorant, so meldete meine Nase, als er den Zug endlich verliess, hatte er wohl beim selben Versandhaus bestellt - es wirkte, als habe man mir ein ganzes Delphinarium ins Gesicht geklatscht. Auf den freien Platz setze sich eine schwarze Madame mit Schluckauf, die eifrig in der Bibel las - wobei die Apokalypse des Johannes in regelmässigen Abständen von ihren Hicksern kräftig geschüttelt wurde.

Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann war Endstation. Rockaway Park heisst das Kaff – aber natürlich gibt es hier weit und breit keinen Park, nur Kliniken und ein chinesisches Takeaway, ein Nagelstudio mit Namen «Tudor», eine «Kings Pharmacy», den «Last Stop Gourmet Shop» und das ziemlich abgewrackte Hotel «La Rance». – Also sitze ich jetzt an der Bar eines Restaurants mit cremefarbenen Sitzbänken, grünlichen Wänden und glänzenden Chromstahlbeschlägen. «Sunset Diner» heisst das Lokal und wird von einem Dutzend amerikanischer Flaggen umweht. Vor mir glänzt unter einem Plexiglasdeckel ein einsames, mit Himbeerkompott gefülltes und mit Zuckerguss vollgespritztes Gebäck. Dahinter stehen eine Maschine für Filterkaffee, ein Toaster und ein Fernseher, auf dem amerikanische Truppen um die irakische Stadt Falluja kämpfen – das behauptet jedenfalls die Bildlegende. Zu meiner Rechten fräst sich ein Polizist durch einen Teller mit Hamburger und French Fries – hoffentlich sieht er noch, dass da ein Amerikafähnchen im Weissbrot steckt, sonst gibt es hier gleich ein Blutbad. Links stochert ein Alter mit Baseballjacke in einem Salat herum und erzählt allen Kellnern mit einem um Verständnis werbenden Lächeln, dass er «this» nur esse weil auch sein Arzt im Lokal zu Gast sei. Auch John Lennon sitzt hier – bloss, dass die malvenfarbenen Tarnhosen nicht recht passen.

Es riecht abwechselnd nach Salatsauce, Kaffee und Toast - nicht schlecht eigentlich. Die angestellten heissen Jimmy, Maureen oder Domingo und sie kennen alle, die hier reinkommen - ausser mich. Aber sie lassen mich in Ruhe - nett, dass sie ihr offenkundiges Misstrauen so gut kontrollieren. Nur etwas fehlt: Das Thema für meinen Text. - Also gehe ich schliesslich zum Strand - fest entschlossen, hier auf und ab zu gehen, bis mir der Atlantik etwas Kunst vor die Füsse spült. Ich gehe hin wie ein nachdenklicher Bademeister und her wie aufgeregter Koch, mal schreite ich wie Donald Duck, dann wie Jacques Chirac, mal wie ein Mormone, dann wie ein Klingone. - Ich spähe nach Süden, die Richtung stimmt - irgendwo hinter dem tiefblauen Horizont liegt mein St. Lemusa. Bloss wo, verdammt noch mal, wo bleibt die Kunst?

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 18. November 2004, Nr. 47 / S. 11.

Irgendwo da draussen musste es doch ein passendes Thema geben.
Sonnenuntergang über der Bucht von New York.