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In seiner 17. «WoZ»-Kolumne vom 4. August 2005 führt José Maria den Forschungsreisenden Omère Lacanne ein. Was wir heute noch von Lacanne haben, sind ein paar Fotos und kurze Filme, lose Notizen, ein paar eher schwülstige Gedichte, eine umfangreiche Sammlung von Kochrezepten und eine überaus bizarre Weltkunst-Kollektion.
Schatten eines Pollers.

17. Omère Lacanne («Es muss nicht immer Charleston sein»)

«Am Tag meines achten Geburtstages fasste ich den unumstösslichen Entschluss, in jedem Land dieser Welt eine Frau zum Altar zu führen und drei Kinder mit derselben zu erzeugen. Zu meinem zehnten Geburtstag - inzwischen war die von meinen Eltern lange ersehnte Geburt meiner kleineren Schwester erfolgt – versprach ich dem Herrn, die Einwohner einer jeden Insel im weiten Ozean zum rechten Glauben zu bekehren. Als ich das zwölfte Jahr vollendete, wollte ich über jeden Fluss des Planeten eine Ziehbrücke bauen. Mit vierzehn in jeder Sprache das fette Fluchen erlernen. Und als ich das siebzehnte Jahr begann, da nahm ich mir vor, aus jedem Land ein Kunstwerk und ein Kochrezept nach Hause zu bringen – wenigstens aus all jenen Gebieten der Welt, die sich auf dem Seeweg, mit einem Schiff würden erreichen lassen. Und dabei blieb es auch. Ich wollte die Menschheit studieren – und das Studium der Fertigkeiten ihrer Künstler und Köche bot sich mir als der direkteste Weg zum Kern der Sache an. – Also ging ich an einem strahlenden Juli-Morgen in Begleitung meines getreuen April und einer prall mit allerlei Leckereien gefüllten Tasche im Hafen von Santa Lemusa an Bord – es war das zwanzigste Jahr unserer Präsidialrepublik, das einhundertzwanzigste Jahr seit der Befreiung unserer Insel, und ich hatte vor wenigen Tagen meinen achtzehnten Geburtstag feiern können. – Erst kreuzten wir etwa eine Stunde lang gegen den Alizé in Richtung Norden an, dann, wir hatten die Anse de Pièbo schon einige Zeit passiert, liess der Kapitän der ‹Seaob› die Segel fieren und im Halbwindkurs glitten wir nun rasch in Richtung Osten. Wenige Zeit später lag die Küste der Insel hinter uns – und vor uns die offene See.» 

So beginnt «Es muss nicht immer Charleston sein – Erinnerungen eines Weltenreisenden» von Omèr Marie Edgar Lacanne. Und so endet diese Geschichte auch – gewissermassen. Die grosse Erzählung auf jeden Fall, die Lacanne hier beginnt, hat mit höchster Wahrscheinlichkeit nie eine Fortsetzung erfahren. Zu dem mit Schreibmaschine geschriebene Blatt, auf dem sich die obigen Zeilen finden, gehört zwar eine zitronenfarbene, akkurat mit Autorenname und Titel versehene Kartonmappe, die wohl mehr als hundert Blätter würde fassen können – die Falzungen am Rand dieser Mappe deuten jedoch nicht darauf hin, dass sie je mehr als dieses eine Blatt enthielt. Wir werden also wohl nie erfahren, warum es «nicht immer Charleston» sein muss. – Was wir von Lacanne haben, sind ein paar Fotos und kurze Filme, lose Notizen, ein paar eher schwülstige Gedichte, eine umfangreiche Sammlung von Kochrezepten und eine überaus bizarre Weltkunst-Kollektion. Das meiste wird heute im National-Archiv aufbewahrt – einiges ist auch im Besitz der Familie geblieben.

Omèr Marie Edgar Lacanne gehört wohl zu den eigenwilligsten Figuren, die Santa Lemusa hervorgebracht hat. Und obwohl wir recht viel über ihn wissen und über recht umfangreiches biographisches Material verfügen, bleibt doch auch manches rätselhaft und verwirrend. So heisst es etwa in der Familienchronik, dass Omèr Lacanne am 4. Juli 1898 in Santa Lemusa zur Welt kam. 1922, im zwanzigsten Jahr unserer Präsidialrepublik, war er folglich vierundzwanzig Jahre alt – und nicht achtzehn, wie er schreibt. Ein Versehen, eine Erinnerungslücke – oder doch Absicht? Wir wissen auch nicht, wer oder was der oder das «getreue April» war, in dessen Begleitung Lacanne an Bord der «Seaob» ging. Manuel Confiant, der als einer der Grosneffen von Omèr Lacanne dessen Nachlass betreut, glaubt, dass der «getreue April» entweder ein Tier war oder aber eine reine Ausgeburt der Fantasie seines Grossonkels. «Vielleicht erfand er sich einen Reisebegleiter, um weniger allein zu. Zutrauen würde ich ihm das schon», gibt Manuel Confiant bekannt, der sich aus Zuneigung zu seinem Vorfahren seit einigen Jahren selbst Omèr Lacanne nennt.

Wie dem auch sei. Wenn ich hier im Rahmen dieser Rubrik von Omèr Lacanne spreche, dann hat das natürlich seinen Grund. Meine Zeit als Artist-in-Residence im Kunsthaus Langenthal geht zu Ende. Doch bevor ich die Schweiz in diesem Herbst verlasse, möchte ich all den alpinen Lesern, die sich dann und wann mit meinen karibischen Leichtsinnigkeiten aufgehalten haben, eine Art Abschiedsgeschenk machen. Omèr Lacanne (also der echte) war nämlich auch in der Schweiz. Wir wissen zwar nicht genau, aus welchem Jahr die einzelnen Notizen stammen, doch mit grosser Wahrscheinlichkeit war Lacanne erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Helvetien. Ganz offensichtlich segelte er mit einem Boot den Rhein hinauf und gelangte zuerst nach Basel. «Und da hatte ich plötzlich diesen Eingeborenen an Bord», heisst es in der entsprechenden Notiz: «der fluchte und redete genauso wild wie unverständlich auf mich ein. Indessen hatte auch ich alle Hände voll zu tun – war doch plötzlich eine Art Seil aus dem Wasser gesprungen und hatte sich in meiner Genua verheddert. Das Boot des Mannes, ein ziemlich untauglicher Holzkahn, schien an dem Seile zu hängen und klebte nun wie ein erlegter Schwertfisch am Rumpf meiner stolzen ‹Ariane›. Da die Schot mein Segel durchzuscheuern drohte, sah ich mich schliesslich gezwungen, sie zu kappen. Es gab einen seltsam metallischen Knall. Der Mann starrte mich ungläubig an. Sein Boot driftete langsam flussabwärts und er sprang schliesslich tapfer hinterher. Erst jetzt bemerkte ich, dass da noch weitere Menschen auf dem unnützen Boote sassen. Sie winkten mir zu. Zwar verstehen sie nichts von der Seefahrt in diesem Land – aber freundlich sind sie auf jeden Fall». Nun, da der Besuch von Omèr Marie Edgar Lacanne in der Schweiz gerade seinen Anfang nimmt, muss diese Kolumne aus Platzgründen leider enden. Mehr über Lacanne und die Schweiz bei nächster Gelegenheit – dann auch mit etwas Kunst und dem «Gehsuhndheits-Rezept von Doktor Alois Gasser».

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 4. August 2005, Nr. 30 + 31 / S. 14.

«Und da hatte ich plötzlich diesen Eingeborenen an Bord».
Schiffslaterne an einem Metallrohr.