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In seiner 25. und letzten «WoZ»-Kolumne vom 9. November 2006 flieht José Maria aus dem Londoner Winter in die Wärme der National Gallery – mit überraschenden Folgen. Ein Geständnis, das – wer weiss – vielleicht sogar den spanischen Altmeister Diego Rodríguez de Silva y Velázquez nicht ganz unberührt gelassen hätte.
Zeichnung nach der Venus von Velazquez.

25. Auch eine Kunstkritik («Ein Geständnis»)

Dies ist ein Geständnis. Ich habe masturbiert. Oder, wenn man es alttestamentarisch ausdrücken möchte: Ich habe onaniert. Natürlich habe ich das schon sehr oft getan - im Bett, auf der Schultoilette, unter der Dusche, am Strand, im Auto etc. So oft, dass an meinem - reproduktionstechnisch gesehen – völlig vergeudeten Samen wohl die Bevölkerung eines Kleinstaates wie Lichtenstein oder San Marino verloren gegangen ist - oder sagen wir: wenigstens die Population eines kleineren Bergdorfes. – Allein wäre dies ja heute wohl kaum mehr Anlass für ein Geständnis – es sein denn, man hat einen Onkel mit Glubschaugen, der Ratzinger heisst. Ich indes fühle mich zu einem Geständnis gedrängt weil ich in einer Anstalt masturbiert habe, wo solches ganz eindeutig nicht vorgesehen ist: Nicht in einer Kirche, nein, aber in einem Museum.

Natürlich ist das lange her, sehr lange sogar. Und natürlich war ich noch jung, ziemlich jung auf jeden Fall. Das Unziemliche geschah im Winter 1989 in London, an einem für britische Verhältnisse ungewöhnlich kalten Tag. Für meinen Körper, aufgewachsen in der milden Luft von Santa Lemusa, waren die klimatischen Verhältnisse im europäischen Winter ein Schock – ausserdem war ich ungenügend bekleidet. Völlig durchgefroren kam ich The Mall hoch und fand mich, ein Stück Eis, vor der National Gallery wieder. Mit klappernden Zähnen und tränenden Augen kämpfte ich mich durch die Masse von Kunstliebhabern, die sich in der Säulenvorhalle wie Pinguine zusammendrängten. Einige Augenblicke später fand ich mich, fast ganz allein, in einem wohlig warmen Ausstellungssaal im ersten Stock des Hauses wieder. Halb ohnmächtig liess ich mich in ein Sofa fallen und versuchte, meine Glieder wieder warm und meinen Kopf wieder klar zu bekommen. Ganz allmählich kehrte das Bewusstsein zurück. Gleichzeitig allerdings stellte sich eine Sorge ein, die wie eine fette Ratte an meinem Wohlsein zu nagen begann: Und wenn ich mir bei der Kälte etwas abgefroren hätte?

Ich versuchte, die maskulinen Requisiten in der Mitte meines Körpers zu spüren – vergeblich, die Zone war gefühllos und kalt. In panischer Angst nahm ich eine Hand zur Hilfe und tastete mich durch die Hosentasche zur fraglichen Stelle vor. Keine Reaktion. Also begann ich, das klitzekleine Glied zu drücken und zu pressen. Sekunden vergingen, die mir wie Stunden vorkamen, bis ich endlich, endlich ein Regung spürte – und zugleich ein durchaus angenehmes Gefühl, das sich, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einer langen Nacht, in meinem Körper auszubreiten begann. Ich dankte Gott, der Jungfrau Maria, der Queen, dem britischen Unterhaus und allen Ladys und Lords, die diese Galerie einst möglich gemacht hatten. – Was mich allerdings dann dazu trieb, doch auch noch einen vollständigen Funktionstest durchzuführen, weiss ich bis heute nicht – aber wahrscheinlich ist es ab einem bestimmten Punkt einfach schwierig, damit aufzuhören.

Die Folgen waren zunächst warm, dann feucht, dann schlammig, dann kalt – und schliesslich hatte ich tausend Teufel in der Hose, die an all meinen Haaren und Härchen zerrten und rissen. Das war dann allerdings erst ein wenig später. – Doch kehren wir nochmals zum Höhepunkt zurück, während welchem ich die Augen geschlossen hielt und gleichzeitig bemerkte, dass sich meine Hand, fast auffällig schnell, aus meiner Hosentasche zurückzog – wie ein Verbrecher, der sich in plötzlichem Schuldbewusstsein panisch vom Ort seiner Tat entfernt. Als ich die Augen wieder öffnete, leuchtete mir das Hinterteil einer jungen Frau entgegen. Dann sah ich ihre Schenkel, das Rosa ihrer Füsse, den Schwung ihrer Rückenpartie, ihre feinen Schultern, ihr adrett zu einem Knoten geflochtenes Haar – und schliesslich entdeckte ich, in einem Spiegel, ihr Gesicht. Sie sah mich an und eigentlich hätte ich mich ertappt fühlen müssen, peinlich berührt. In ihrem Blick aber lag etwas seltsam komplizenhaftes, so dass ich unvermittelt schmunzeln musste. Jetzt sah ich auch den kleinen Amor, der ihr den Spiegel hielt, die Draperien, die sie umgaben, den Hintergrund etc.

Was Velázquez im Sinn hatte, als er um 1650 die sogenannte «Rockeby-Venus» malte, ist schwer zu sagen. Ich glaube auch nicht, dass die Präsenz des Bildes in irgendeinem Zusammenhang mit meiner Erregung stand – wahrgenommen hatte ich es auf jeden Fall erst danach. Und doch war ich dem Spanier irgendwie dankbar. Hätte ich beim Öffnen der Augen eine wurstige Pomeranze von Rubens erblickt oder eines jener Mauerblümchen mit Vitaminmangel, wie sie Rembrandt in seinem Atelier frieren liess, vielleicht wäre mein weiteres Leben dann ganz anders verlaufen. Ich habe seit jenem Nachmittag im Winter 1989 nie wieder in einem Museum masturbiert. Und doch hat mir das Erlebnis Lust gemacht, meinen Museumsbesuchen durch heimliche Aktionen eine besondere Würze zu geben. Für eine Darstellung der Mittel und Methoden, die ich seither entwickelt habe, fehlt hier leider der Platz. Weshalb ich mich jetzt selbst am Kragen packe und in hohem Bogen aus dem aus dem Bild werfe.

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 9. November 2006, Nr. 45 / S. 14.

Gesicht einer jungen Frau.