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«In der Nudelfalle»

von Izak Boukman

Es gibt kaum eine bessere Antwort auf einen knurrenden Magen, als ein Teller Glasnudeln mit scharfer Sauce. Nach einem Tag in den Bergen von Gwangju in Südkorea, wo ich mich in exzessivem Masse der frischen Luft ausgesetzt hatte, war das genau das richtige für meinen Appetit. Ich bestellte und wenig später stand die mächtige Schüssel vor mir – ein rotes, glasiges Nest, aus dem ein verführerischer Dampf in meine Nase stieg. Gierig griff ich mit meinen Stäbchen ein paar Nudeln und schlürfte sie in mich hinein. Die glasigen Würmer waren herrlich würzig, scharf, feucht, lang auch, unendlich lang - ich merkte erst spät, zu spät, dass sie sich mit den Schneidezähnen nicht zertrennen liessen (wie etwa anständige Spaghetti, die sich noch dem wackligsten Gebiss sofort ergeben). Also sass ich da und wusste nicht recht weiter: die Spitzen der Nudeln waren wohl bereits in meinem Magen angelangt, ein Teil hing mir im Hals, mein Mund war voll und von meinen Lippen schwang sich eine kleine, sanft vor sich hin tropfende Nudelseilbahn bis in die Schüssel hinab, in deren Tiefe sich irgendwo das Ende verbarg. Natürlich gab es kein Messer auf meinem Tisch. Ich suchte also, zunehmend um Atem ringend, nach einer Lösung. Eine Schere wäre perfekt gewesen – nur wo sollte ich eine solche finden? Ich dachte daran, mitsamt der Schüssel aus dem Lokal zu laufen – oder in die Küche, wo sich doch sicher irgendein Schneidegerät würde finden lassen. Allein ich schämte mich zu sehr. Also blieb mir nichts anders übrig, als die ganzen Nudeln wieder aus mir heraus gleiten zu lassen, was selbstverständlich nicht ohne schreckliche Geräusche vonstatten ging. Angewidert schob ich die Schüssel weg – und fragte mich zugleich, wie viel ahnungslose Touristen wohl schon ihr Leben an diese Glasnudeln verloren hatten. Wenig später wurde das gleiche Gericht an einem Nachbartisch serviert – und ich freute mich schon, nun als Zuschauer in dieser koreanischen Pasta-Arena den Kampf mit der Nudel zu geniessen. Allein die Bedienung zog zu meiner Enttäuschung eine grosse Schere hervor, mit deren Hilfe sie schnipp schnapp das heimtückische Nudelnest in ungefährliche Stückchen zerteilte – ein kleines Service-Detail, das sie an meinem Tisch schlicht vergessen hatte.

Aus: «Leko», 27. September 2008.

First Publication: 7-6-2009

Modifications: 11-6-2009, 13-10-2011