D | E  

Ho Chi Minh City, Restaurant «Bûn Ta»

Szene 14

«Wenn es am Tag windig ist, dann legt sich der Wind in der Nacht» heisst es im 12. Buch der «Kunst des Krieges» von Sun Tzu, das Maille während seiner Ausbildung zum Geheimagent hatte lesen müssen. Er hatte diese Weisheit insofern verinnerlicht als der Tag für ihn immer gewissermassen das gegenteilige Prinzip der Nacht oder des Abends darstellte – ein wenig wie bei einem Vampir, der mit dem Untergang der Sonne merkt wie er ein anderer wird und wie ein kaum zu bändigender Hunger in ihm hochsteigt.

Auch heute spürte Maille diese Verwandlung seiner inneren Haltung gegenüber der Welt als er sich in einem Restaurant in der Dong Khoi Area niederliess: Schäumte er sich tagsüber oft wie zu stark geschütteltes Coca Cola durch die Stunden, so wurde er jetzt zu einem schweren Rotwein, der in einem grossen Glas seine Runde drehte – soweit jedenfalls das Konzept. Leider hatte er auf dem Schiff die Hosen hochgekrempelt und sich also die Fussknöchel von der Sonne verbrennen lassen, was die Majestät seines abendlichen Daseins ein kleinwenig irritierte.

Das Reispapier, das der Kellner zusammen mit Schweinebauch, Garnelen, diversen Kräutern, Salat und allerlei Gemüse auf seinen Tisch stellte, war nur halb durchgetrocknet und also konnte Maille die glücklichen Rollen formen ohne das Papier erst einweichen zu müssen. Die heftige Frische der ebenso kühlen wie fast unanständig nackt wirkenden Gebilde stellte einen interessanten Kontrast dar zum Feuer auf seinen Knöcheln. Hätte man in der kleinen Welt seines Tisches frei nach Claude Lévi-Strauss zwischen «cru» und «cuit» unterscheiden wollen, dann war Maille im Moment auf jeden Fall das Gekochte.

Fish «Amok»

Menu Maille

Mit verschiedensten Transportmitteln unterwegs quer durch Indochina wurde auch das Menu von Hektor Maille auseinander gezerrt: Während er die Hauptspeise schon in Siem Reap vorgesetzt bekam, gesellte sich erst in Ho Chi Minh City die Vorspeise dazu: