D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Karneval der Tiere

Kohima (India) Market
P.R. Hill, gegenüber Christian Revival Church
Mittwoch, 21. März 2012

Ort auf Weltkarte anzeigen

In Plastikbeuteln, die prall mit Wasser gefüllt sind, strampeln kleine Frösche gegen ihr Schicksal an. Sprung um Sprung prallen sie mit der Nase gegen die Wände ihrer Gefängnisse, die in der erdigen Umgebung des Zentrums von Kohima wie ungewöhnlich saubere, futuristisch anmutende Blasen in der Sonne glitzern. Daneben versuchen kleine Welse in einer weissen Wanne, ihre langen Barthaare voneinander zu lösen – ein nervöses Ruckeln. Ruhiger geht es im Becken mit den Aalen zu, deren braun-rote Leiber sich so eng aneinander legen, dass sie beinahe wie ein einziger Körper wirken, wie ein entspannt verdauender Darm – wären da nicht ihre erstaunlich grossen Köpfe, von denen sich dann und wann einer aus der Masse erhebt, um in die Runde zu sehen. Die Tiere haben ein markantes Gesicht und grosse Augen, die einen nachdenklich ansehen. «Du hier?», scheinen sie zu fragen – als seien sie selbst am einzig richtigen Ort, ganz im Unterschied zu uns.

So viel Gleichmut haben die grossen Raupen nicht, die in grünen Plastiktöpfen durcheinander kriechen und scheinbar nur eins im Sinne haben: der Masse zu entkommen und sich über die daneben liegende Wasserkresse, den wilden Spargel oder die Mitsuna-Kräuter herzumachen. Es gibt hier Raupen in jeder Couleur, fein säuberlich voneinander getrennt: kleine weisse mit schwarzen Punkten am Kopf, bräunlich-gräuliche mit fast transparent wirkenden Körpern – und leuchtend orange-rote, die sich bewegen als seien sie betrunken. Vielleicht haben die Engerlinge sich über Bhut Jolokia hergemacht, die schärfsten Chilis der Welt, deren runzlige Körper hier in Plastikbeuteln angeboten werden. Manche dieser gefährlichen Früchte riechen leicht nach Rauch und geben den Speisen der Gegend nicht nur Schärfe sondern auch ein unvergleichliches Aroma – ganz so wie die jungen Bambussprossen, die hier in Beuteln vor sich hin saften. Leicht fermentiert und gedünstet umweht sie ein anderer für die Küche des Nagalandes so charakteristischer Duft, der ein wenig an die Luft in einer Apotheke erinnert. Auch Akhuni wird hier verkauft, jene fermentiert Paste aus Sojabohnen, die das Aroma von geschmortem Schweinefleisch, Hühnerfrikassee oder Chutneys wesentlich mitbestimmt. So stark Bambussprossen und Akhuni auch riechen mögen – auf dem Markt herrschen andere Odeurs vor: eine Mischung aus dem scharfen Parfum von Hühnerscheisse und einem leichten Fischduft liegt in der Luft, unterfüttert von einer staubig-würzigen Note.

Das schönste Gefängnis haben die kleinen schwarzen Schnecken: Sie sind in Streifen von Bananenblättern zu kleinen Bündeln verschnürt sind, die auf den Brettern der Verkaufsbuden kaum merklich hin und her wackeln. Den meisten Lärm machen die Hühner, die in Käfigen aus Maschendraht ihre kleinen Panikattacken zelebrieren. Doch die Verkäuferinnen wissen, wie sie ihre Tiere beruhigen können, damit der Käufer in Ruhe Brust und Gesäss seiner Ware abtasten kann. Man kauft hier auch mit den Händen ein – allerdings nicht im Fall der Wildbienen, deren Larven eine besonders tonische Delikatesse sein sollen: Sie werden in Waben angeboten, aus deren Löchern zahllose halbfertige Tierchen ihre milchig-weissen Hinterteile in die Luft strecken. Dann und wann kriecht auch ein Flieger aus seinem Kokon, torkelt ein wenig, strafft die Flügel und surrt davon. Der seltene Beweis dafür, dass auch Esswaren dann und wann die Flucht gelingen kann.

Keine Fluchtgefahr besteht indes bei den Hunden, deren Fleisch auf Bananenblättern ausliegt. Sie recken zwar noch tapfer das Schwänzchen in die Luft und heben auch brav die Pfote – allein den grössere Zusammenhang stellt nur noch das Auge her. Die hübsche Verkäuferin, die mit einem roten Plastikwedel die Fliegen von ihrer Ware verscheucht, nickt ihren Kunden freundlich, fast ehrfurchtsvoll zu. Kein Wunder, sind es im Nagaland doch vor allem Ringkämpfer, denen man Hundefleisch serviert – es soll das Durchhaltevermögen erhöhen und überdies gut für die Knochen sein. Neben der Hundemetzgerei sitzt ein Teenager mitten in einem Berg von Gemüse – über ihm ist eine riesige Plastikplane ausgespannt, die das Licht so bricht, dass alles von einer bläulich-bleichen Farbe belegt scheint. Umso goldener glitzert der Stand mit dem getrockneten Fisch dahinter, fast wie der Hintergrund eines mittelalterlichen Heiligenbilds, ein Art Jenseits aus leblosen Leibern. Vom Aal über kleine Flussfische bis zum Frosch gibt es hier alles, was die Feuchtigkeit des Nagalands hergibt, in akkurat geräucherter Form, fächerartig ausgelegt. Die Farbe der Tiere, changierend zwischen Silber, Braun, Gold und Kohle, ist so einzigartig wie ihr Duft, der sich wie die getrocknete Essenz eines Fischlebens ausnimmt. Etwas dürr und glänzend wirkt auch das Gesicht der Verkäuferin – ein altes Weibchen, deren Kopf so aus der Ware ragt, dass sich die Fischleiber wie ein fein ornamentiertes Kleid um sie legen, königlich. Auch ihr Gesicht schreibt die Frage der Aale in die Luft: «Du hier?» Ohne Zweifel sind wir hier richtig am falschen Ort.

Siehe auch

First Publication: 17-7-2012

Modifications: 22-6-2013