Bambus gehört zur Familie der Süssgräser (Poaceae). Die Unterfamilie der Bambusoideae umfasst zahlreiche Gattungen und Arten. Alle Bambuspflanzen wachsen grasartig und verholzen. Sie zeichnen sich durch ihre schlanken, manchmal verzweigten, oft meterlangen Halme aus. Einige Arten können bis 30 m hoch wachsen. Die Blätterkronen sind meist luftig und eher zierlich. Vor allem in Südostasien ist Bambus seit alters eine der wichtigsten Nutzpflanzen und wird für den Bau von Häusern, Brücken oder Möbeln ebenso gebraucht wie für die Herstellung von Haushaltsgeräten, Musikinstrumenten, Werkzeugen, Papier etc.
Kulinarisch bedeutend sind vor allem die jungen Schösslinge des Bambusrohrs. Laut Teubner's «Buch vom Gemüse» (S. 76) eignen sich für den Verzehr vor allem die Arten der Gattungen Bambusa, Dendrocalamus und Phyllostachys. Laut David Thompson («Thai Food», S. 142) hat jede Art einen leicht unterschiedlichen Geschmack. Die Gattung Phyllostachys pubescens soll besonders gut auch plantagemässigen angebaut werden können. Diese Art stammt offenbar aus dem südlichen China und wird heute auch in Japan und Taiwan kultiviert. Die Sprossen wachsen laut Teuber «aus den Niederblattachseln von Bambusrhizomen junger Pflanzen». Sie werden ein wenig wie Spargeln gestochen – und zwar wenn sie «saftig, zart und süss und noch nicht verholzt» sind. Alan Davidson («Oxford Food Companion», S. 56) beschreibt das so: «The harvester of bamboo shoots looks for cracks on the surface oft he earth and digs up the emerging shoots almost before they come out.» Diese spitzen, kegelförmigen Sprösslinge können bis zu 30 cm lang und 8 cm dick werden. Sie sind von zugespitzten Blättern wie von Schuppen umgeben.
Die frischen Bambussprossen, die man in den Asia-Geschäften in Mitteleuropa findet, bestehen im unteren Teil aus einem schwammartig durchlöcherten Klotz, aus dem ein kompakter Stängel wächst. Was man essen kann, und was weggeschnitten werden muss, erschliesst sich dem unerfahrenen Auge nicht sofort. Also fragen wir die etwas desinteressiert wirkende Frau in unserem Zürcher Asia-Laden, die uns folgende Direktive mit auf den Weg gibt: «Ein bisschen abschneiden und dann kochen für Suppe». Ein Rezept, das in seiner Kürze wohl kaum zu übertreffen ist – und doch nicht ganz ausreicht, die Sorgenfalten von unserer Stirn zu vertreiben.
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als selbst herauszufinden, wie so ein Bambus-Baby richtig zubereitet wird. Beherzt greifen wir zu einem Küchenmesser und beginnen an der Sprosse herumzuschneiden: Wir trennen den hölzern wirkenden Ansatz und die dunkelgrüne Spitze ab, schälen vom unteren Teil die äusserste Schicht weg und lösen vom Stängel alle Blätter ab, die uns nicht ganz weiss vorkommen. Dann zerlegen wir die Stücke in Scheiben – nicht ohne den Hohlraum im Innern des Stängels zu bewundern, der wie ein Verdauungsorgan wirkt und ahnen lässt, was aus dem Sprössling hätte werden sollen.
Alle Bambussprossen müssen vor Verzehr kurz gegart werden. Roh enthalten sie ein giftiges Blausäureglykosid, das erst durch Erhitzen zerstört wird respektive offenbar verdampft. Will man die Sprosse im Ganzen garen, werden in der Literatur Kochzeiten zwischen 30 und 60 Minuten empfohlen. Stücke sollten nach 5 bis 10 Minuten gar sein. Wir setzen die Sprossen, so wie es Thompson («Thai Food», S. 142) empfiehlt, in kaltem Wasser auf, bringen es zum Kochen, lassen 2 Minuten brodeln, und giessen das Wasser dann ab. Diesen Vorgang wiederholen wir drei Mal und lassen die Sprossen zum Schluss im Kochwasser abkühlen.
Beim ersten Versuch stellen sich einige Schichten des Stängels, die wir mit gekocht haben, als ungeniessbar zäh heraus. Bei unserem zweiten Versuch schneiden wir deutlich mehr weg – nun ist zwar alles essbar, von der schönen Sprosse aber haben wir mehr als die Hälfte entsorgen müssen. Wie viel man wegschneiden muss, hängt auch vom Alter der Sprosse ab – als Mitteleuropäer hat man dafür allerdings kein Auge. Die deutlich zarteren und kleineren «winter bamboos», die in Asien besonders begehrt sind, kommen bei uns leider kaum je in die Geschäfte.
Bambussprossen kosten (im Winter 2012) in der Schweiz etwa 20 Franken (15 €) pro Kilo – ein ziemlich teurer Spass.
Frische Bambussprossen haben ein Aroma, das je nachdem als nussig beschrieben werden kann oder auch Erinnerungen an Kohlrabi weckt. Manche entdecken auch Noten von Mais oder etwas Teigartiges. Oft sind die Sprossen leicht bitter und je nach Zubereitung knackig.
In Europa werden Bambussprossen nur selten frisch verzehrt, meistens kommen sie als Konserven in unsere Küche – als Scheiben in Dosen oder ganz in Plastikbeuteln, meist gedünstet und in Flüssigkeit (oft Essig) eingelegt, manchmal mit Gewürzen angereichert. Varianten gibt es zu Hauff – und sie sind allesamt deutlich billiger als die frischen Sprossen. Manche schmecken nach gar nichts, andere haben ein leicht medizinisches Aroma, wie es zum Beispiel das im Nagaland weit verbreitete Schweinefleisch mit Bambussprossen prägt.
First Publication: 19-7-2012
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