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Logbuch der «PS Narina»

Tag 27

Luft- / Wassertemperatur: 26°C (19°C nachts) / 28°C

Windrichtung / Bft: Südsüdwest / 2-3

Gebiet: BITUMINIS PELAGUS (ein Plätschern wie aus einem alten Radio) – Seekarte der Reise

Kombüse: Alfoncino (800 g) schuppen, ausnehmen, abspülen, trocken tupfen, leicht salzen und pfeffern. Etwas Olivenöl in einer Bratpfanne erwärmen, Fisch je 2 Min pro Seite anbraten. 3 fein gehackte Knoblauchzehen, 1 entkernte und fein gekackte grosse grüne Chilischote, Zeste von 1 Zitrone, 2 EL leicht gehackte Kapern aus Essiglake, 1 sehr fein gehackte Tomate mit in die Pfanne geben, ganz kurz anziehen lassen, mit 3 dl Weisswein ablöschen. 2 EL Dijon-Speisesenf in die Sauce einrühren, 12 Körner Tasmanischen Pfeffer beigeben. Fisch 5 Minuten je Seite schmoren und dabei regelmässig Sauce darüber löffeln. Mit Salz abschmecken. (Weitere Rezepte vom Smut der «PS Narina»)

Beobachtungen

Vielleicht hatte ich am Vorabend etwas zu viel getrunken. Aber als ich heute früh an Deck trat, blendete mich alles: die Sonne, ein geradezu exzentrisch strahlendes Meer, und auch das Weiss des Bootes. Gegen die Sonne war nichts auszurichten, auch mit Ozeanen legt man sich besser nicht an – aber, so dachte ich, muss denn die Oberfläche eines Papierbootes wirklich so blank sein? Ich griff also nach einem fetten Filzstift und beschloss, einen Satz auf mein Schiff zu setzen.

Seither denke ich darüber nach, mit welcher Wendung ich die Beschreibung meines Bootes beginnen möchte. Meine Finger sind unterdessen voller schwarzer Tupfer weil ich die Kappe des Stifts immer wieder von der Spitze ziehe, um sie sogleich erneut darüber zu stülpen – was nicht immer auf Anhieb gelingt. Das kleine «Plop» aber hat einen herrlich vorsprachlichen Reiz – es ist wie ein Gedanke, der im Maul verpufft.

Wieder einmal habe ich den Eindruck, Oskar schüttle im Vorbeigehen seinen Kopf: «Was quälst du dich?», scheint er zu fragen: «Es wird sich wohl kaum jemand die Mühe machen, deinen Satz zu lesen. Wenn wir denn überhaupt je nach Santa Lemusa gelangen, dann wird sich dort sicher niemand für die Filzstift-Dichtung auf unserer Bordwand interessieren.» Recht hat er – zweifellos. Aber warum sollte ich einen Satz nicht schreiben, bloss weil er wahrscheinlich keine Leser finden wird? Kann ich meine Sätze nicht von der lästigen Pflicht befreien, dass sie gelesen werden müssen? Und will ich nicht gerade jene Worte, die wahrscheinlich nie einen Wiederhall finden, mit besonderer Sorgfalt wählen? Es ist wichtig, dass ich meine Texte nicht für die Schublade schreibe, dass sie rein theoretisch von jemandem gelesen werden könnten – denn nur so existieren sie auf dieser Welt. Ebenso wichtig aber ist es, dass sie nicht gelesen werden müssen, dass sie auch ohne jeden Leser ihre Daseinsberechtigung und ihre Schönheit haben. Es fällt mir nicht leicht zu sagen, warum das so ist, aber es macht den ganzen Unterschied, es geht um Freiheit, um das Recht zu sein…

Die stimmigsten Antworten auf manche Lebensfragen lassen sich vielleicht nicht bis in den letzten Winkel theoretisch unterfüttern.

Oskar schüttelt den Kopf. Die Sache leuchtet ihm nicht ein – er sieht nur, dass meine Hände dabei schwarz werden. «Nehmen wir zum Beispiel einen Fluss», versuche ich zu erklären: «So ein Strom fliesst doch auch in majestätischer Pracht dahin – ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand dabei zusieht oder nicht.» Der Vergleich scheint mir allerdings plötzlich etwas pathetisch. Und Oskar verzieht keine Miene. Doch kann man einer Ameise überhaupt das Glück erklären?

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First Publication: 4-2-2013

Modifications: 9-4-2013, 11-11-2014