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Alles hat hier seine Ordnung: gefällte Baumstämme im Wald über Hägelberg. (Sonntag, 1. Dezember 2013)

31. Flasche

Sonntagsspaziergang

Valais Pinot noir Cave St-Pierre Réserve 2009

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach überreifen Johannisbeeren, später nach Himbeeren, an der Kante zum Fauligen - auch gehen wir an einem Geschäft vorbei, das exotische Früchte verkauft (wenn auch keine Durian). Mit der Drehung nimmt die stinkige Note zu, das Faulige erinnert ganz entfernt an den Geruch von Tierkadavern, die im Wald verrotten – in dieser Konzentration aber ist der Gestank ein tiefgründiges Parfum.

Der Sonntagsspaziergang rangierte auf der Beliebtheitsskala meiner Kindheit ungefähr auf einer Ebene mit einer Mathematikklausur. Hie Langeweile und die Gewissheit einer schlechten Note, da Langeweile und die Angst, den Anfang von «Bonanza» zu verpassen - jener Westernserie, die es am Sonntagabend als Belohnung auf dem Schwarzweiss-Fernsehgerät meiner Grosseltern zu sehen gab. Heute gehört der Sonntagsspaziergang fast schon zu meinen eigenen Ritualen – und gewöhnlich trabe ich mit Begeisterung durchs Gelände. Heute aber, beim Gang durch den Hochschwarzwald bei Hägelberg, habe ich mich gelangweilt – sosehr, das mir sogar der Gedanke kam: «Was würde Hoss in meiner Lage tun?» (von den drei Jungs der Ponderosa-Ranch stand mir Hoss am nächsten, denn unsere Körper waren ähnlich gebaut). Der Gedanke an Hoss aber half mir heute nicht – der Wald blieb banal. Ich war enttäuscht, dass der Schwarzwald so gar nicht schwarz war. Ich hatte mich darauf vorbereitet, durch ein dunkles Dickicht aus Tannen zu schreiten, in dem das Auge nur ein paar Meter weit sieht, dann nur noch ahnt und bald nur noch annimmt, wie die physische Welt sich fortsetzen könnte. Doch der Wald bei Hägelberg ist ein lichter Mischwald, gut gepflegt, mit breiten Wegen. Auch ein solcher Wald hat mir schon jene Gefühle schierer Präsenz beschert, die ich auf Wanderungen suche. Heute aber war ich wohl einfach zu schnell für den Wald – oder vielleicht war der Wald auch zu schnell für mich. Auf jeden Fall waren unsere Tempi so verschieden, dass wir wie zwei völlig autonome Realitäten aneinander vorbeiglitten – und es nirgends zu jener Begegnung kam, die dem Erleben Bewusstheit und dem Augenblick Bedeutung gibt.

Eine unverschämt reife Frucht lümmelt herum, eine fette Himbeere und etwas Holunder (die Frucht, nicht die Blüte), vielleicht gibt es auch eine erloschene Feuerstelle, die Asche ist noch ein bisschen warm. Auch ein Hauch von Kot ist auszumachen – Andouillette kommen mir in den Sinn, «il faut que ça sente la merde, mais juste un peu.» Im Mund ist der Wein eher sauer und leicht, mit etwas Tannin, relativ kompakt. Auch von innen ist zunächst eine Andouillette da, sie mutiert zur Andouille de Guémené, Schweinedarm mit Rauchgeschmack. Die Himbeeren liegen nun neben Zwetschgen und haben ganz verschiedene Reifestadien - einige wirken frisch und süss, andere als sei der erste Frost schon über sie hinweggegangen, ausgetrocknet, ältlich. Das Aroma hat, ähnlich wie das der Andouille de Guémené, etwas imminent Geheimnisvolles. Aus seinen Tiefen leuchten immer wieder andere Ahnungen auf - mal Ghee oder etwas ältere Butter, mal nasses Leder oder ein fauliger Baumstrunk. Auch das Aroma, das wir bei der Cuvée de la Garde Suisse zu beschreiben versucht haben, ist da – hier aber wirkt es ernster, ausgereift. Im Nachhall bleibt Frucht und etwas pelzige Säure.

Getrunken am Sonntag, 1. Dezember 2013 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Möwenpick Wein» in Kloten (Fr. 19.40 im November 2013).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir Cave St-Pierre Réserve des Administrateurs

AOC, 2009, 13% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von der Cave St-Pierre in Chamoson (auf Karte anzeigen). «Les administrateurs de la cave St-Pierre on choisi ce vin pour leur réserve. Toutes les bouteilles de ce lot séléctionné sont numérotées. Cette bouteille porte le No. 98936»

First Publication: 2-12-2013

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