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Die Waffe im Hosensack

Bogotá (Colombia) Plaza de Bolívar
Carrera 7, vor der Catedral Primada de Colombia
Dienstag, 11. Februar 2014

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In allen Kolumbien-Reiseführern steht geschrieben, dass man jederzeit einen dicken Packen nicht zu grosser Banknoten in seiner Hosentasche griffbereit halten soll – ein Bündel, das dank Gummiband oder ähnlichen Massnahmen gut zusammenhält. Im Falle eines bewaffneten Raubüberfalls solle man dieses Geld ohne Umstände aushändigen. So könne man es vermeiden, die Zeitgenossen hinter den fuchtelnden Pistolen oder blinkenden Messer unnötig zu frustrieren – denn «people have been murdered for pocket change», warnt etwa der «Lonely Planet». Das klingt nach einer vernünftigen Vorsichtsmassnahme. Allein es ist gar nicht so leicht, sich so ein Bündel zusammenzusparen, spuken die Bankomaten doch nur die grössten Noten aus – 50'000 Pesos, etwa 25 amerikanische Dollar.

Seit meiner Ankunft in Kolumbien bemühe ich mich, ein brauchbares Bündel für den Über-Fall zusammenzustellen – und fast täglich habe ich darüber nachgedacht, wie die Komposition wohl noch zu verbessern sei. Ich habe mir überlegt, dass ein paar grössere und mittlere Noten offenbar sichtbar sein müssten – um dem schnellen Blick des Räubers eine gewisse Befriedigung zu verschaffen. Die grosse Masse des Pakets aber sollte aus ganz kleinen Noten bestehen – gewissermassen dem bleiernen Füllwerk meiner Sicherheitsmauer. Für den ersten Eindruck entscheidend waren wohl die Farbkomposition des Bündels, das Leuchten aus seinen Ritzen, die Textur, die Gestaltung der Übergänge von den wertvolleren zu den billigeren Stoffen. Es musste so beschaffen sein, dass es dem Auge des Verbrechers eine freudige Erregung verschaffen konnte, ohne indes seinen Appetit übertrieben anzuregen – schliesslich sollte er ja nicht auf die Idee kommen, dass da möglicherweise noch mehr zu holen sein könnte.

Mit jedem Tag gefiel mir das Bündel etwas besser – ja ich begann, mein Werk mit einem gewissen Stolz durch die Strasse zu tragen. Ein Werk, dass ich für einen mir unbekannten Rezipienten geschaffen hatte, für ein anonymes Publikum. Als die Zusammensetzung für meine Begriffe optimal war, begann ich den symbolischen Wert des Bündels zu erhöhen – etwa dadurch, dass ich schmutzige Noten durch saubere austauschte. Längst sah ich das Geld nicht mehr als mein Geld an – es war das Geld meines Banditen, es stand im Dienst eines höheren Zwecks. Als ich einmal, von einem geradezu kriminellen Taxifahrer, der einfach kein Wechselgeld zu haben behauptete, nahezu gezwungen wurde, einen kleinen Schein aus meinem Portfolio zu lösen, kam es mir vor, als sei ich selbst der Räuber, der sich am Geld anderer Menschen vergreift. Das war kein schönes Gefühl.

Nun, nach einer guten Woche in Kolumbien, ist das Bündel perfekt: prall, gut aussehend, sauber, appetitlich – wie ein schön trainierter Muskel. Es fühlt sich gut an in meiner Hosentasche, es gibt mir Sicherheit, Kraft und Mut – fast als wäre der Packen selbst eine Waffe.

Und eine Waffe ist es ja auch – auf seine Weise. Jedenfalls ist es eine Manipulation des Räubers, eine Falle für den Über-Fäller, ein Schachzug, ja fast schon ein Trick, wie ihn Politiker anwenden: ein fettes Versprechen, dem eine magere Wirklichkeit folgt. Vielleicht sollte ich auf diesem Weg noch etwas weitergehen – schliesslich finden in Kolumbien bald die Präsidentschaftswahlen statt. Ich könnte mir ja einem kleinen Stempel anfertigen lassen und jede Note mit meiner Botschaft versehen: Peter Polter Presidente, Peter Polter Presidente, Peter Polter Presidente…

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Ajiaco santafereño (Suppe aus verschiedenen Kartoffelsorten und Mais, mit Hühnerfleisch, Guascas und Kapern)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 10-3-2014

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