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Was für ein Tempo - aber auf die Salomonen wird sie es heute nicht schaffen. Blaue Stunde am Zürichhorn. (Donnerstag, 14. März 2014)

50. Flasche

«Terrible Salomons»

Valais Pinot noir Salquenen Mathier Ambassadeur 2011

Von aussen unbewegt riecht der Wein ein wenig nach Weichselkirsche und nach Weihrauch. Mit der Bewegung gleitet aus dem Hintergrund eine leicht säuerliche Schokoladenote auf die Bühne, dazu etwas Tabak und etwas Sperma. Insgesamt aber ist der Duft eher verhalten.

Im Mund ist der Wein zunächst sauer, kaum bitter, mit wenig Tannin, voll aber nicht schwer. Er fühlt sich jugendlich an, frisch. Von innen sind die Aromen fruchtig, Zwetschge und Himbeere, dahinter ein Veilchenton. Der Wein hat etwas Frivoles, Freundliches – beim Kauen entdeckt man eine leichte Note von Graukarton. Von einem «Ambassadeur» hätte ich mir allerdings mehr Tiefe erwartet, mehr Persönlichkeit.

Das erinnert mich an die Reiseberichte, die ich in den letzten Tagen online gelesen habe – namentlich über Vanuatu, obwohl ich vielleicht gar nicht dorthin reisen werde. Die Berichte kamen mir vor als ob die Menschen ohne sich selbst unterwegs gewesen wären. Persönliches kommt in solchen Beschreibungen oft nur da zur Sprache, wo es dem zu Erwartenden entspricht. Im Stil von: «Nach einem ganzen Tag in XY taten mir ganz schön die Füsse weh.» Oder: «Wir waren erleichtert, als wir das Basislager wieder erreichten.» Oder noch: «Als wir uns von der Familie verabschiedeten, die uns drei Tage lang so herzlich bewirtet hatte, war uns das Herz ganz schwer.» Das ist als gäbe es auf Reisen nur passende Gefühle. Und es kommt mir auch ein wenig vor, als seien die Empfindungen Teil eines Bewertungssystems – ein Kriterium, dass man alles richtig gemacht hat.

Dabei überwiegen auf Reisen doch die unpassenden Gedanken und Empfindungen. Da senkt sich die Sonne glutrot in den Ozean – und ich habe keinerlei poetisches Sentiment, sondern nur Angst vor der Nacht, die kommt und in der ich wieder schlecht schlafen werde. Oder die Einladung zum Tee – bei einer ganz reizenden Beduinenfamilie. Warum ist mir nicht danach? Warum will ich statt eines hochgezuckerten Tees lieber ein hochchemisches «Cola Light» trinken in der klimatisierten Cafeteria neben der Tankstelle?

Weinbeschreibungen sind oft ähnlich wie Reiseberichte – auch da hat man das Gefühl, die Verkoster seien ohne Körper und ohne Psyche vor dem Flasche gesessen. 

Mit der Zeit wird der Pinot noir im Mund etwas süsslicher – zugleich manifestiert sich in der Nase eine leicht stinkige Note, verfaulende Früchte, ein bisschen Exotik. Doch bleibt der Wein juvenil. Liegt es an mir, dass ich so wenig Aufregendes in ihm finde? Bin ich noch nicht reif für die Feinheiten dieses Weins? Oder habe ich die Flasche einfach zehn Jahre zu früh geöffnet? Was wird in zehn Jahren sein? Was wird morgen sein – ich fliege via Singapur nach Sydney und ein paar Tage später weiter nach Vanuatu oder auf die Salomon-Inseln, die «Terrible Salomons»? Wie sich das anhört – ich dachte immer, diese Welt gibt es nur bei Jack London. Bin ich dabei, mich an Fiktion zu übergeben?

Getrunken am Donnerstag, 14. März 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Flaschenpost» (Fr. 42.90 im November 2014).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir Salquenen Adrian Mathier L'Ambassadeur des Domaines Diego Mathier

AOC, 2011, 13.5% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von Adrian Mathier in Nouveau Salquenen (auf Karte anzeigen).

First Publication: 14-03-2014

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