Zwölf «Pacific Oysters» und ein kleiner Unfall – ein meeresfruchtiges Erlebnis zu Peter Polters Episoda 140327 Cockle Creek Fishers's Point
Früh um neun Uhr fahre ich nördlich von St. Helens an einer Muschelfarm vorbei, die auf einem Schild Pazifische Austern anbietet – 9 Australische Dollar das Dutzend. Eine braun gebrannte Blondine packt mir 12 Stück in einen Plastikbeutel. Ich fahre etwa 500 Meter weiter der Küste entlang und halte über einem kleinen Strand. Mit einem Kinder-Dolch, den ich mir zwecks Zerkleinerung von Früchten und Gemüse an einer Tankstelle gekauft habe, öffne ich die erste. Sie ist so frisch, dass ich ihr schlagendes kleines Herz sehen kann. Trotzdem hat sie einen reifen Geruch, eine Mischung aus Jod und Milch, Nuss und exotischen Früchten. Die zweite Muschel schmeckt stärker nach Alge, die dritte ein wenig nach Käse, die vierte nach Haselnuss, die fünfte überrascht mich mit einer leichten Pfefferschärfe, bei der sechsten kommt mir ein blumiges Damenparfum in den Sinn – jede hat ein etwas anderes Aroma. Ihr Fleisch breitet sich wie Öl im Mund aus und belegt innert kurzer Zeit sämtliche Häute mit einem salzigen Schleim. So werde ich selbst zur Küste, zur Muschelbank.
Es gibt wohl keinen besseren Moment am Tag, um Austern zu verkosten, als den frühen Morgen – noch vor dem ersten Kaffee. Die Mundhöhle ist rein und ausgeruht von der Nacht, die Sinne sind offen und wach.
Beim Öffnen der elften Muschel rutsche ich aus und ramme mir das Messer in den linken Daumen. Das Blut tropft wie flüssige Himbeermarmelade über die Austernschale. Noch Tage später erinnert mich diese Wunde, die immer wieder aufplatzt, an das Gefühl von Glück, das mir dieses Austernfrühstück an den Gaumen und ins Gemüt gezaubert hat.
First Publication: 19-4-2014
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