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Beginn einer Baustelle – Zollikerstrasse über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich. (Dienstag, 4. Juni 2014)

59. Flasche

Erste Risse

Cornas Les Loubas 2010

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach Himbeeren und feuchtem Sand – auch ein Hauch von dunkler süsser Schokolade ist da. Die Bewegung bringt ein kräftiges Parfum in den Vordergrund: Veilchen, Chromstahl und weisser Pfeffer. Im Mund ist der Wein kompakt, eckig, mit deutlichen Tanninen und leichter Säure. Von innen dominieren saure Früchte, unreife Brombeere zuvorderst, dazu eine kantige Kakao-Note. Etwas geröstetes Brot steht da, nicht ganz frisch aus dem Ofen. Dunklere, reifere Früchte (Pflaumen, Walderdbeeren) funkeln im Hintergrund, werden aber stets von den sauren Kollegen am Bühnenrand überspielt. Ab und zu huscht eine Büschel Lavendel vorbei – es lässt mit der Zeit Bilder aus dem Tal der Rhône aufsteigen, dem südlichen allerdings. Der Wein ist eher verschlossen und ein bisschen harsch – gerade heute hätte ich mir etwas mehr Ermunterung gewünscht.

Den ganzen Tag lang fühlte ich mich verletzt – als hätte mich etwas verwundet oder gekränkt, als sei mir eine traurige Neuigkeit mitgeteilt worden. Es dauerte einen Moment bis ich verstand, was das Gefühl provozierte. Hinter meinem Wohnhaus, wo bis vorgestern noch eine Wiese war, auf der die Füchse sich in der Sonne suhlten und Grillen in die Stille der Nacht hinein sangen, starrt mich jetzt der kahlrasierte Schädel der Erde an. Es begann ein wenig wie vor ein chirurgischen Eingriff, wenn erst einmal die Haare da wegrasiert werden, wo später das Skalpell ansetzen wird: ein Traktor erschien, der das hohe Gras und die Büsche niedermähte. Dann fuhr der erste Bagger auf und schälte die Haut der Erde ab. Er tat dies mit einer erstaunlichen Sorgfalt – was mir sehr unpassend vorkam, jedenfalls wäre es mir lieber gewesen, er hätte sich brutal in den Boden gehackt.

Wo ich bisher den Wechsel der Jahreszeiten beobachtet habe, werde ich in den nächsten Monaten den Fortschritt auf der Baustelle registrieren. Anstelle der Vögel werden mich am Morgen die Kräne wecken, die ihre langen Arme knacksend über mein Bett hinweg schwingen. Der Wiesenduft wird vom Geruch feuchten Betons abgelöst und statt Blütenpollen wird Staub durchs Fenster geweht. Ganz bestimmt wird es Risse in den Mauern unseres alten Hauses geben. Die wichtigere Frage aber ist, ob es auch Risse in der Seele geben wird?

Mit der Zeit spielt sich eine hölzerne Note auf, begleitet von etwas dunklem Karamell und einem Hauch von Mandel. Im Abgang kaue ich ein sehr süsses Himbeerbonbon heraus – ein kleiner Trost.

Getrunken am Dienstag, 3. Juni 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Jelmoli Food Market» in Zürich (Fr. 58.00 im Juni 2014).

Nächste Flasche

Cornas Les Loubas

AOC, 2010, 13.5% Vol.

100% Syrah

Rotwein aus dem Tal der Rhône (Frankreich), produziert von Les Loubas (Vigneron Mariela Molinari) in Cornas (auf Karte anzeigen) und Châteauneuf-sur-Isère (auf Karte anzeigen).

First Publication: 26-5-2014

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