Newsletter abonnieren

RSS-Feed abonnieren

Cornas David Reynaud Rebelle 2009

Von aussen unbewegt riecht der Wein erst markant nach Frucht, dann aber heftig nach Teer – dazu gesellt sich eine leicht fiese exotische Note, wie man sie zum Beispiel in fermentiertem Tofu aus China oder finden kann. Die Bewegung lässt dunkle Früchte auf den heissen Teer prasseln, auch wird eine Flasche mit Wunddesinfektionsmittel geöffnet – oder ist es ein Hustensirup wie aus Kindertagen? Da ist viel Hitze in diesem Cornas, etwas Versengtes.

Das passt. Es passt zur Zeit, die ständig verbrennt, was ist, die immer mehr Kohle in unser Leben schiebt – jeden Tag ein Stückchen dazu. Und es passt zu meinem Herzen, das unruhig ist und gerne klein wäre, das sich in ein Bilderbuch flüchten möchte, in eine Kindergeschichte, die gut ausgehen wird. Wieder liegt meine Mutter im Spital, bedrängt, bedroht, besetzt. Und ich bin auf meinem Dach, schaue mir den Himmel aus einem Kopfstand an, den ich nicht kann, trinke Wein.

Wein ist ein wunderbarer falscher Trost. Er verschiebt die Fragen, die sich nicht beantworten lassen, auf einen späteren Zeitpunkt – und drängt die Angst, die damit verknüpft ist, in etwas verschwommenere Zonen ab. Was soll man auch sonst mit diesen Fragen tun?

Auch im Mund ist es Teer, der regiert, dazu wird ein zu stark aufgegossener Schwarztee verschüttet – es bleibt zunächst eine bittere Note zurück und ein Zungengefühl, als hätte man eine Strasse abgeleckt. Mit der Zeit aber treten doch wieder dunkle Früchte auf, in würzigen Roben, bekleckert mit Bratensauce, Veilchen, Lavendel, Buchs-Hecke, eine Felswand, über die der Regen läuft. Doch der Wein packt immer wieder neue Überraschungen aus. Plötzlich ist man in einem Stall, hat eine frisch gewaschene Kuh vor sich, einen Eimer mit Milch, den eben geputzten Steinboden einer Küche – und dann schiebt er uns wieder eine gezuckerte und mit etwas Parfum besprühte Brombeere in den Mund.

Getrunken am Montag, 30. Juni in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Flaschenpost» übers Internet (Fr. 58.50 im Mai 2014).

Nächste Flasche

© HOIO 2015 – powered by xcult.ch – kept in form by e-hist – triggered by activerat