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Morcheln wie «kostbare Zeichen» auf den «weissen Seiten von in Milch geschmorten Kutteln». (Zürich, November 2015)

Les «Pages blanches» d'Annemarie

Kutteln vom Rind, in Milch geschmort mit Morcheln

Bei dem 1966 in Castebar entdeckten Kochbuch aus der Feder eines Maistre Jules Iette gingen die Forscher lange davon aus, dass es sich um eine Handschrift aus dem Alpenraum, wahrscheinlich aus der Schweiz handeln müsse. Das änderte sich als Annemarie Monteil 1992 einen Vortrag über Kunstkritik an der Universität von Port-Louis hielt. Michel Babye, Leiter der Bibliothèque et Archives Nationales, wollte der Schweizerin den alpenländischen Schatz nicht vorenthalten, der unterdessen sogar schon den Übernamen «Codex Helveticus» bekommen hatte. Unter der neugierigen Aufsicht von Babye legte Monteil mit weissen Handschuhen sorgfältig Blatt um Blatt des Manuskriptes um. Sie hatte allerdings einige Mühe, die etwas staksige Schrift zu entziffern und verstand auch das alte Französisch nur in Teilen. Also fingen ihre Augen an, kreuz und quer über die Blätter zu wandern. Und plötzlich begann sie sich für die linken Seiten des Buches zu interessieren, die der Verfasser, aus welchen Gründen auch immer, ausnahmslos unbeschrieben belassen hatte – vermeintlich auf jeden Fall, denn Monteil entdeckte auf diesen Rückseiten auffällige Vertiefungen, die offenbar nicht von den Schriftzeichen auf der Vorderseite her rühren konnten. Sie wies Babye auf den Umstand hin, der schliesslich etwas widerwillig eine starke Leuchte und eine Lupe holen ging.

Das war der Anfang einer zweiten Entdeckung des Kochbuchs von Jules Iette. Zehn Jahre nach dieser Entdeckung der anderen Seiten des Maistre fuhr Alice Babinski, die das Manuskript als Kunsthistorikerin und Gastrosophin mit bearbeitet hatte, nach Basel, um für «Leko» ein Interview mit Annemarie Monteil zu führen. Die Kunstkritikerin gibt sich darin sehr bescheiden und deklariert ihren Fund als das Resultat einer «Deformation professionelle». Ein paar Zeilen später räumt sie aber immerhin ein: «Das Schauen ist dazu da, selbst Entdeckungen zu machen – um nur zu glauben, was andere gesehen haben, würden uns ja die Ohren reichen.»

Dieser Satz steht nun auch gross auf der Wand der Kochschule mit zugehörigem Restaurant, die Alice Babinski seit 2010 auf einem Floss in Castebar betreibt. Und zum 90. Geburtstag von Monteil im Dezember 2015 hat sie ein Rezept von Jules Iette weiterentwickelt, das «auf den weissen Seiten von in Milch geschmorten Kutteln wie kostbare Zeichen einzelne Morcheln erscheinen lässt». Sie nennt es: «Les Pages blanches d'Annemarie». Genaueres zu den Umständen dieser folgenreichen Entdeckung gibt die Basler «ProgrammZeitung» in ihrem Heft von Dezember 2015 wieder (PDF).

Das Originalrezept bei Jules Iette lautet so: «Trippes de buef. Metés en une paielle de fer et de l'eaue aveques et metés sus le feu et remuez souvent tant qu'elle soit bien nestoié trempés en eaue car son boullon sent le fians faites ii foies ou iii descouppés par pieces cuisiés en lait de vache et en eaue avec du sel aucuns y metent des oingnons minciés poivre lonc metés seulement et bien pou de nois mugaites qui y veult.» Und in der Übersetzung: «Gebt die Kutteln in einen metallenen Topf mit Wasser und stellt sie aufs Feuer, rührt oft um bis sie sauber sind. Weicht sie in Wasser ein, denn ihre Brühe schmeckt nach Mist. Wiederholt das zwei oder drei Mal. Schneidet sie in Stücke. Kocht sie in Kuhmilch, Wasser und Salz – einige geben auch gehackte Zwiebeln dazu. Gebt nur langen Pfeffer bei und, wer will, ganz wenig Muskat.»

Alice Babibski hält sich weitegehend an das Rezept aus «Une feste en cuisine», gibt jedoch noch etwas Zitronenzeste bei – und ersetzt den Langen Pfeffer manchmal durch Weissen Pfeffer, der etwas kräftiger ist. Ausserdem kommen natürlich noch die Morcheln dazu – ihre Grösse sollte zu den Dimensionen der Kuttelstücke passen. Auch die Bar à nouilles «Schopenhauer» in Port-Louis führt ein ähnliches Gericht auf ihrer Karte, das sie «Grande Gala» nennt, wobei die Kutteln hier über wenigen, ziemlich dicken Nudeln serviert werden – was, wie wir finden, ganz ausgezeichnet zusammenpasst.

Kochzeit 60 Minuten

Zutaten (für 2 bis 4 Personen)

2½ dl Milch

2 Zwiebeln, geschält und grob gehackt

400 g nicht zu dünne Kutteln vom Rind, gereinigt und vorgegart, in Streifen

½ TL Salz

1 TL Langer Pfeffer oder weisser Pfeffer, fein gemahlen

20 g getrocknete Morcheln, 15 Minuten in heissem Wasser eingeweicht, dann sorgfältig abgespült und ausgedrückt

Zeste von ¼ Zitrone, sehr fein gehackt

1 Häutchen Muskatblüte, fein zerkrümelt

Salz zum Abschmecken

ev. nochmals etwas Langer Pfeffer oder weisser Pfeffer

Zubereitung

  1. Milch und 2½ dl Wasser mit den Zwiebeln in einem Topf zum Kochen bringen, dann bei reduzierter Hitze 10 Minuten lang simmern.
  2. Kutteln, Salz und Pfeffer beigeben, wieder zum Kochen bringen, Hitze reduzieren und 20 Minuten halb zugedeckt köcheln lassen. Deckel abnehmen und weitere 20 Minuten sanft brodeln lassen – bis sich die Milch in eine leicht dickliche Sauce verwandelt hat und ein wenig an den Kutteln haftet.
  3. Morcheln unterheben und 5 Minuten simmern lassen. Zitronenzeste und Muskatblüte einrühren, weitere 5 Minuten sanft ziehen lassen.
  4. Mit Salz abschmecken und ev. bei Tisch mit etwas Pfeffer bestreuen.
Uns schmeckt dieses Gericht mit etwas dickeren Kutteln besonders gut – in Frankreich werden solche als «Gras double» verkauft. (April 2014)
Zu Beginn der Kochzeit wirken die Kutteln und die Milch noch unverbunden – doch sie umarmen sich mehr und mehr. (April 2014)

First Publication: 19-11-2015

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