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Vorplatz und Eingangsbereich der Omfa-ca, der grossen Kulthöhle der Kloi am Mont Déboulé.

Die Kultur der Kloi

Die Kloi sind eine der ältesten Volksgruppen von Santa Lemusa, deren Herkunft oft kontrovers diskutiert worden ist. Früher hielt man sie für eine Splittergruppe der Kariben, die im 8. Jahrhundert oder später auf die Insel gelangten. Jüngste Untersuchungen des Kloischen aber haben gezeigt, dass die Sprache Elemente enthält, die aus einem vor-indoeuropäischen Grundwortschatz entwickelt wurden: Worte für Schneidgeräte wie aitso («Messer») oder aitsko («Schwert») enthalten den Wortstamm aits respektive aitz oder haitz, der sich bis in die Steinzeit hinein zurückverfolgen lässt. Die Linguistin Anne Jandl schliesst daraus, dass die Kloi «mit grösster Wahrscheinlichkeit schon lange vor den Kariben vom europäischen Festland aus auf die Insel gelangten und sich im Gebiet des Déboulé niederliessen» (vergleiche Anne Jandl: «Les Kloi – une ancienne tribu européenne». In: «Revue historique», no. 77, 2010, S. 55-54).

Archäologisch nachweisen lassen sich die Kloi aber erst ab dem 10. Jahrhundert (siehe Ausgrabungen in Hiri). Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind sie als homogene Volksgruppe nicht mehr fassbar. Es gibt noch einzelne Familien, die in mehr oder weniger direkter Linie von den Kloi abstammen und lokale Ausformungen des Kloischen als eine Art «Familiensprache» pflegen. Aus diesen Familiensprachen hat André Zavier 1966 so etwas wie ein Standard-Kloisch rekonstruiert, Vokabular und Grammatik schriftlich festgehalten (André Zavier : «La langue des Kloi». In: «Revue historique», no. 33, 1966, S. 43-74). Seit Zavier, in dessen Adern ebenfalls Kloi-Blut fliessen soll, wurde diese Sprache verschiedentlich untersucht.

Was wir über die Kultur, über Rituale und Religion der Kloi wissen, stammt teilweise aus relativ unsystematischen Untersuchungen, die zu Beginn der 1940er Jahre in der Höhle der Omfa (Le grand sofa) und zu Ende des Jahrzehnts in der Siedlung Hiri am Lac du Boto durchgeführt wurden. Die archäologischen Erkenntnisse wurden im gleichen Zeitraum, leider ebenfalls in relativ unsystematischer Weise, mit Aussagen von Kloi-Nachfahren verglichen. Georgette Muelas («Santa Lemusa», S. 115-120) fasst den Stand der Dinge 1956 sehr sorgfältig zusammen. Vieles, was wir auf diesen Seiten über die Religion der Kloi und die Höhle der Omfa oder über den Ort Hiri am Lac du Boto wiedergeben, stammt aus dieser Quelle.

Die Kloi lebten in erster Linie von Landwirtschaft, Viehzucht, Jagd und Fischfang. Sie kannten (zumindest ab dem 10. Jahrhundert) Metall, das sie sehr kunstvoll bearbeiteten. Auch konstruierten sie Wagen, die sie von Ochsen, Pferden oder Eseln ziehen liessen. Sie trieben Handel und lösten Konflikte mit ihren Nachbarn eher durch Diplomatie als durch Gewalt – wobei auch gewisse Spiele wichtig gewesen sein sollen. Die Kloi wurden von einem Rat der alten Männer regiert, dessen zentrales Dogma eine Art Geheimwissen namens Eser war, was wörtlich übersetzt eigentlich «Nichts» heissen soll – aber offenbar auch «Alles» bedeuten kann.

Eine besondere Rolle spielte in der Kultur der Kloi das Initiationsritual für Männer. Wenn es bei den Kloi Zeit war, dass die Buben von der Welt der Frauen in jene der Männer eintreten sollten, dann wurden sie von einer Gruppe erwachsener Männer in die Berge geführt und dort, an den Abhängen des Déboulé, oft physisch blutigen und psychisch destabilisierenden Initiationsritualen ausgesetzt. Diese Rituale dauerten mehrere Tage und wenn die Knaben all die Angst und den Schrecken, all die väterlichen Aggressionen überlebt hatten und seelisch völlig erschöpft waren, dann wurden sie schliesslich in das Geheimnis des Männerbundes, Eser, eingeweiht – womit ihr neuer Status als männliches Mitglied der Gesellschaft besiegelt war. Dieses Geheimnis durfte an Aussenstehende, insbesondere an Frauen und Kinder, unter keinen Umständen verraten werden. Eser, dieses Mysterium der Männlichkeit, dieses überaus bedeutungsvolle Geheimnis einer ganzen Kultur bestand nun allerdings laut Zavier darin, dass es gar nicht existierte (André Zavier : «Eser – le grand secret des Kloi». In: «Revue historique», no. 35, 1968, S. 63-70). Das Geheimnis, von dem man den Frauen und Kindern wieder und wieder erzählte, war leer, ohne jeden Inhalt. Zavier: «Die Nicht-Existenz eines Geheimnisses kann mitunter schwer zu akzeptieren sein. Das war der Grund, warum die Initiationen so anstrengend ausfallen mussten». Über die Rolle der Frauen in der Kloi-Kultur ist wenig bekannt.

Bis ins 17. Jahrhundert hinein dürften die Kloi ein relativ autonome Existenz auf der Insel geführt haben. Die zunehmende Bevölkerung von Santa Lemusa aber führte dazu, dass sie sich immer mehr mit anderen Inselbewohnern vermischten und allmählich begannen, aus dem Gebiet des Déboulé abzuziehen. Die letzten Kloi verliessen den Hauptort Hiri wohl Ende des 19. Jahrhunderts.

Fundament eines Hauses oder eines kleinen Speichers in Hiri am Lac du Boto.

Siehe auch

First Publication: 5-2011

Modifications: 24-6-2012