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Der Altar in der Dorfkirche von Riehen nach der Abdankungsfeier für meine Mutter. (Donnerstag, 19. Februar 2015)

87. Flasche

Ein satter Gruss

Alsace Riesling Wolfsberger Grand Cru Hengst 2013

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach einem sanften Melonen-Essig und ein wenig nach Blütenhonig. Mit der Bewegung stellt sich eine leicht staubige Note ein, eine Idee von frisch gespitztem Bleistift und Lindenblüten. Im Mund ist der Riesling erst eher sauer, dann kommt eine feine, sommerliche Fruchtsüsse auf, Pfirsich und Nougat.

Heute Nachmittag fand in der Dorfkirche von Riehen die Abdankungsfeier für meine Mutter statt. Ich sass in der ersten Reihe, zwischen meinem jüngsten Bruder und meinem Vater, der die ganze Zeit über zu Boden starrte. Ich habe an den letzten Tagen immer wieder Momente erlebt, in denen mir plötzlich die Tränen kamen beim Gedanken an meine Mutter. In diesem Augenblick aber fühlte ich keine Trauer. Wie soll man auch traurig sein, wenn da einer steht und ständig Gott im Mund führt oder von Paradies, Vergebung und Hoffnung faselt. Natürlich, er tat seinen Job. Der Pfarrer las den Lebenslauf vor, den meine Mutter selbst geschrieben hatte. Es gab darin nichts Lustiges und nichts Leichtsinniges – alles kam mir sehr schwer, sehr genau kontrolliert und überlegt vor. Dabei sind es doch gerade die komischen Dinge, die einem in solchen Momenten zu den Tränen führen. Denn es sind ja nicht unsere Konzepte und unsere Leistungen, sondern unsere Streiche und Marotten, die zeigen wie empfindlich wir eigentlich sind. «1963 lernte ich die Liebe meines Lebens kennen», las der Pfarrer vor – und mir war, als zucke mein Vater zusammen.

Ich wunderte mich, dass ich die Blumen so gar nicht riechen konnte, die vor dem Altar aufgebaut waren – sie waren ja zum Greifen nah. Der schönste Strauss bestand mehrheitlich aus fleischigen Rosen: Karmin, Purpur, Bismuthgelb, Zinnoberrot, Aubergine, Koralle und ein helles, fast hautweisses Ulrtramarinrosa. Ich suchte nach den richtigen Namen für die Farben und dabei kam mir in den Sinn, wie meine Mutter bei unserer letzten Begegnung glaubte, ihre Beerdigung sei schon vorbei. «Die Musik war schön, nicht wahr? Und es hatte so viele Leute, es sind ja auch all meine Klavierschüler gekommen. So viele Leute. Ich komm nicht ganz draus, bin ich jetzt im Himmel?» Ich wusste damals nicht, was ich meiner Mutter antworten sollte – und war beinahe froh, dass sie mich gar nicht richtig wahrnahm, da neben ihrem Bett. Heute hätte ich ihr all die Farben beschreiben können, die ich sah – und vielleicht hätte ich ein paar Düfte dazu erfunden.

Sehr viele Leute waren nicht zur Abdankung gekommen. Die Kirche wirkte fast ein wenig leer – aber es ist ja auch ein ziemlich grosse Kirche. In wenigen Minuten würde ich mich neben den Ausgang stellen und die Beileidsbekundungen von Leuten entgegennehmen, die ich noch nie gesehen habe – oder wenigstens seit dreissig Jahren nicht mehr. Meine Zeit in Riehen liegt lange zurück. Ich würde nach ihren Namen suchen, mich da und dort erinnern oder wenigstens so tun als ob. Ich hatte Lust, ihnen die Namen von Farben zu geben: Herr Kobalt, Frau Bister, Sepia, Malachit, Kadmium, Kohle…

Der grosse Strauss war so ein kräftiger Gruss, so eine satte Geste, dass ich die Augen kaum von ihm lösen konnte. Mein Bruder flüsterte mir zu, es seien die vereinten Freundinnen von Mama gewesen, die ihr diese Blumen gestiftet hätten. Meine Mutter hatte einige gute Freundinnen und sie war stolz auf ihren Kreis. Jetzt machten mich die Rosen plötzlich traurig – vielleicht gerade weil sie so lebendig wirkten, so voll im Saft, übermütig fast. Ich hoffe, die Freundinnen haben meine Mutter wirklich so gesehen.

Mit der Zeit entwickelt der Riesling eine stärker zitronige Note, dazu gesellt sich eine Idee von mineralischem Lehmboden. Mir kommt auch ein Bonbon mit Mandel- oder Haselnusszuckerfüllung in den Sinn, das ich mir früher in Italien oft gekauft habe. Das längliche Klötzchen war in ein dunkelrotes Zellophan-Papier eingepackt und mit einem goldenen Schriftzug bedruckt, ich glaube es war ein Pordukt der Firma «Perugina». Das Design erinnerte mich immer an jene Kerzen, wie man sie auf Gräbern aufstellt – das Bonbon aber war umwerfend gut.

Getrunken am Donnerstag, 19. Februar 2015 beim Bahnhof St. Johann in Basel (Schweiz). Gekauft bei «E. Leclerc» in Saint-Louis ? (~ € 20 im Februar 2014).

Nächste Flasche

Alsace Riesling Wolfberger Grand Cru Hengst

AOC, 2013, 12.5% Vol.

100% Riesling

Weisswein aus dem Elsass (Frankreich), produziert von Wolfberger in Eguisheim (auf Karte anzeigen).

First Publication: 19-2-2015

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