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Träume in Rot

Almaty (Kazakhstan) Green Market, Zhibek Zholy Street (Karte)

Samstag, 27. Juni 2015

Auf dem Зеленый Базар, dem Grünen Markt von Almaty, herrscht die Farbe Rot – daran ändern selbst die grünen Schilder nichts, die über den verschiedenen Marktsektionen hängen und den Kunden bei der Orientierung helfen. Auch das bisschen Grün der adrett in Szene gesetzten Wassermelonen, der zu Pyramiden aufgetürmten Äpfel und Gurken kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in dieser mächtigen Hallen in erster Linie um eine Sache geht: Fleisch.

Die Spielarten von Rot sind in diesen Metzgereien schier unendlich. Da gibt es den pastellig rosigen Schimmer der halbdurchsichtigen Kalbsnetze, die wie luftige Reizwäsche von den tiefrot gestrichenen Metallgestellen baumeln. Ebenso kokett und graziös schaukelt das ausgebleichte Orange der Lungen durch die süsslich duftende Luft. Wie schwer wirkt daneben das Karminrot der Rinderherzen, wie dramatisch das Erdrot der Lammlebern und wie eindeutig das Korallenrot der Milzen. Es gibt das fahle, leicht gräuliche Rosa der Schweinsköpfe, die im Tod so zufrieden aussehen als wüssten sie, wie glücklich sie den Menschen machen – zum Beispiel mit ihren Hüftstücken in hellem Siena oder ihrem Speck in Rostrot und Weiss. Es gibt das gesprenkelte Braunrot der mehr als meterdicken Fleischböcke, auf denen ganze Tiere mit mächtigen Äxten zerteilt werden – Utensilien wie aus einem Museum archaischer Kriegskultur. Besonders zart leuchtet das violett-braune Dunkelrot einer Hammelniere, die unmittelbar neben einem Bündel Geldscheine auf einen Käufer wartet. Noch verletzlicher wirken nur noch die puderrosigen Kalbshoden, die eine Käuferin mit signalroten Hosen prüfend in der Hand hält. Mit der Strahlkraft ihres Beinkleids können es allenfalls die knutschroten Tee- und Kaffeekannen aufnehmen, die eine dicke Alte mit schwerem Schritt in einem Einkaufswagen durch die Gänge schiebt – als wandelnde Bar für die Marktfrauen, denen sie Getränke in grossen Pappbechern serviert.

Die feinsten Abstufungen von Rot beobachtet man an den Ständen, die Pferdefleisch verkaufen. Die Leitfarbe ist hier das Maroon der meterlang von den Gestellen hängenden Rippenstücke, an deren unterem Ende weiss ein mächtiger Klumpen Fett sitzt. Diesen riesenhaften Koteletts sieht man das Pferd noch so gut an, aus dessen Flanke sie geschnitten wurden, dass man fast Hufe klappern hört. Unter ihnen liegen geranienrot die gewaltigen Braten vom Bein, daneben glüht das Vermillon der Nackenstücke, aus denen wohl das Fleisch für das kasachische Nationalgericht Besbarmak geschnitten wird – und dazwischen sitzen cognacrote, eigentlich fast schwarze Klumpen, wie ausgetrocknete Zeugen aus einer anderen Zeit. Es gibt meterlange Schrumpel-Würste von einem rosigen Sandbraun, Dünndarm wahrscheinlich. Prall glänzen daneben armlange und ebenso dicke Konkurrenten in einem dunkel-bräunlichen, stark marmorierten Pflaumenrot. Und an fast allen Pferde-Ständen sieht man Frauen, die geschickt lange Riemen Fleisch und Fett in die dünne Haut vom Enddarm wursten. Eine junge Frau macht sich einen Spass daraus, wenn Männer an ihrer Theke vorbeischlendern, die dunkelrosa-olivbraune Haut ihrer Khazy-Wurst sanft zu streicheln – und dabei bedeutungsvoll die Augen zu verdrehen.

Tatsächlich geschieht an diesen Ständen alles von Hand – man sieht weder Fleischwölfe noch andere Wurstmaschinen, auch elektrische Sägen, Tranchier- oder Vakuumier-Geräte fehlen. Selbst die Waagen sind analog, an jedem Stand ist dasselbe Ungetüm festgeschraubt. Es gibt auch keine Kühlgeräte hier und keine Vitrinen, denn die Kunden wollen das Fleisch betasten, ehe sie sich für ein Stück entscheiden. Trotzdem wirkt alles sehr sauber und es riecht frisch, nach leicht angetrocknetem Blut, nach Fett und Metall.

Bordeauxrot sind schliesslich auch die Schürzen der Verkäuferinnen und Verkäufer, die hier stets viel zahlreicher sind als ihre Kunden. Das gestattet es einzelnen, dann und wann ein Nickerchen zu machen. Zwischen kleinen Bergen von Münzen, Speckschwarten und Schweinsohren legen sie den Kopf auf ein sauberes Tuch und nehmen sich eine Auszeit vom Treiben des Grünen Marktes. In welche Welten sie der Schlaf entschweben lässt, sieht man ihnen nicht an – zweifellos aber träumen sie in Rot.

Siehe auch

First Publication: 24-7-2015

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