97. Flasche
Cahors Château Eugénie 2011
Von aussen unbewegt riecht der Wein markant nach dunklen Früchten, Brombeere vor allem. Auch Kompott oder Steinfrüchte auf einem Kuchen (leicht angebrannt) kommen mir in den Sinn. Mit der Bewegung schleicht sich eine frische Note dazu, etwas ganz leicht Säuerliches, auch ein wenig Schokolade ist da – und vielleicht sogar ein Minzesträusschen, doch es liegt auf einem Waldboden.
Im Mund ist der Cahors erst süss, dann folgt eine gewisse Säure. Von innen schmeckt er nach Schokoladencreme – mit kandierten Sauerkirschen drauf. Das Aroma bleibt lange im Mund und hinterlässt ein Gefühl als habe man ein Stück Patisserie gegessen – dazu passt auch eine ganz leichte Bitterkeit, die zuletzt noch ein wenig nachhängt. Als ich mit der Verkostung des Weins begann, war ich hungrig – nach einem Glas fühle ich mich fast schon satt. Das ist befriedigend und ein wenig irritierend zugleich.
Befriedigend ist auch das Wandern – irritierend eher die Frage, warum man es eigentlich tut. Heute führte die Strecke vom Brünig-Pass auf das Brienzer Rothorn – ein einfacher und schöner Weg, begleitet von viel Nebel und Wind. Gehend versuchte ich zu erspüren, warum ich eigentlich so gerne in dieser Bergwelt unterwegs bin. Wahrscheinlich fasziniert mich, so ein Schluss, dass diese Landschaften gleichzeitig gewöhnlich sind und magisch. Gewöhnlich weil es sich eben nur um einen Wald handelt oder eine Bergkuppe, die für mich durch keine spezifische Bedeutung oder Symbolik überhöht werden. Ich weiss zwar, dass ich durch Kulturlandschaften spaziere, die landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich, militärisch, touristisch etc. genutzt werden – für mich, den Wanderer aber, dessen Blick wie eine Drone durchs Gelände gleitet, bedeuten die Abhänge, Gräte und Terrassen im Grunde nur sich selbst. Magisch sind die Landschaften, weil sie etwas haben, das sich einfach nicht beschreiben lässt – etwas, das mich berührt, ohne mich konkret zu beschäftigen, das zu mir spricht, ohne mir etwas zu sagen. Sicher ist das ein Grund, warum ich am liebsten alleine durchs Gelände schreite – das Reden nämlich, ja schon das Zusammensein mit anderen Menschen, lässt für das Magische keinen Raum.
Mit der Zeit gibt der Wein dann doch preis, dass er keine Schokoladencreme ist. Nun spielt er mir Aromen in den Mund, die vom Brennen der Frucht unter den Strahlen der Sonne erzählen, von ihrem Wunsch nach Wasser. Die nebelsanfte Luft von heute früh kommt mir in den Sinn.
Getrunken am Sonntag, 13. September 2015 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Geschenk, erhalten im Juli 2015.
First Publication: 13-9-2015
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