D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Der Sommer hat sich viel zu früh und zu plötzlich in den Winter verabschiedet – am Bettmerhorn. (Sonntag, 18. Oktober 2015)

99. Flasche

Unerfüllt

Cahors Château Lagrézette 2006

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach schwarzer Kirsche und Petroleum. Mit der Bewegung bekommt die Kirsch ein paar saure Noten ab, dazu gesellt sich eine dunkle, etwas unterkühlte Schokolade. Der Wein hält sich insgesamt zurück. Im Mund ist der Cahors eher bitter, mit einer markanten Malznote am Gaumen und kräftigen Tanninen. Von innen rieche ich Weichselkirschen, die in sehr dunkle Schokolade eingeschmolzen sind – ein «Mon Chéri» für den Tag der Scheidung.

Der Sommer hat sich viel zu früh verabschiedet – und viel zu plötzlich. Eben noch war da jene sanfte Restwärme des Herbstes, die ein wenig melancholisch und doch auch versöhnlich stimmt – so, dass man fast glauben konnte, alles sei gut. Und schon hat der Schnee die oberen Lagen fest im Griff, zersplittert das Eis unter den Füssen, werden die Zehen klamm und bleich in den Schuhen. Ich fühle mich betrogen – die warme Jahreszeit ist unfertig geblieben, unerfüllt. Sechs Monate, wenigstens, wird der Winter jetzt die Berge regieren – bis endlich wieder der Pfiff des Murmeltiers zu hören ist.

Wahrscheinlich hat die Traurigkeit, die mich heute beim Gang durch den Schnee ergriffen hat, auch mit meiner Mutter zu tun, die im letzten Winter gestorben ist. Vielleicht beschäftigt mich die Frage, ob auch ihr Leben unerfüllt geblieben ist, wie dieser Sommer – und ob meines wohl in irgendeiner Art zur Erfüllung kommen wird. Vielleicht hat mir der Tod meiner Mutter auch die Zuversicht genommen, dass auch auf diesen Winter der Frühling folgt. Natürlich weiss ich, dass die Wärme wiederkehren wird – und doch ist eine gewisse Selbstverständlichkeit nicht mehr da.

Der Wein bleibt dunkel und ernst, dazu passen auch Noten von verbranntem Holz oder Teer. Er ist gross, aber unzugänglich. Und wenn man nicht aufpasst, wenn man sich nicht ganz sorgfältig an ihn heranschnüffelt, dann prallt man an seiner bitteren Schulter ab.

Getrunken am Sonntag, 18. Oktober 2015 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Kummer Weinhandlung» in Zürich (Fr. 28.00 im August 2015).

Nächste Flasche

Cahors Château Lagrézette Cru d'Exception

AOC, 2006, 13.5% Vol.

87% Cot, 12% Merlot, 1% Tannat

Rotwein aus dem Südwesten (Frankreich), produziert von Alain Dominique Perrin, La Grézette in Caillac (auf Karte anzeigen). Auf der rückseitigen Etikette heisst es: «Château Lagrézette est vielli 18 mois en barrique de chêne français neuves. Ses raisins sont vendangés à la main depuis 1503.»

First Publication: 19-10-2015

Modifications: