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Eine schematische Darstellung des Universums der Castabarer, wie es im «Codex fuscinulorum» dargestellt wird.
Boote, Häuser und Pfahlbauten am Meer.

«Codex fuscinulorum»

Der «Codex fuscinulorum» («Codex der Gabeln»)* stellt das Zentrum des Vereinslebens der Loge von Castebar dar. Der Text ist manchmal in einem etwas eigentümlichen Latein, streckenweise auch in Alt-Französisch, zum grössten Teil aber in Labha abgefasst. Die Handschrift selbst stammt wohl aus dem 16. Jahrhundert – schildert aber Dinge, die zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt passiert sein müssen.

Der «Codex fuscinulorum» berichtet vom Volk der Variser, das rund um ein Castelach Varisau (das heutigen Castebar) in Frieden und Wohlstand lebt. Die Menschen haben nur ein Problem, das sie indes stark beschäftigt: Sie wissen nämlich nicht, ob es jenseits ihrer Insel (auf der sie sich übrigens ganz alleine wähnen) noch etwas anderes gibt auf dieser Welt. In ihrer Vorstellung leben sie im Zentrum (loch) einer riesigen, bis zur Hälfte mit Wasser gefüllten Schüssel (aramach), die sich langsam dreht – wodurch der Ozean in Bewegung gerät und zu den Rändern hin hochsteigt. Ein Schiff, das auf den Rand der Schüssel (klitli) zufährt, würde deshalb notgedrungen irgendwann rückwärts durchs Meer rutschen. Diese Schüssel steht im Faig – einem völlig dunklen Raum, in den regelmässig eine Lichtgestalt namens Odom eindringt. Odoms linkes Auge ist die Sonne (geiach), sein rechtes ist der Mond (geiala) – und die Sterne (michelionai) sind die Schuppen seiner Haut.

Die Menschen wissen nicht, wie gross Aramach ist und ob es in dieser Schüssel noch Platz für weitere Inseln hat. Dann aber hat ihr Seher eine Vision – und damit beginnt die eigentliche Geschichte, die der Text erzählt. In der Folge dieser Vision nämlich brechen «die Besten» (megiala) des Volkes zu einer Reise auf. Mit einem Schiff fahren sie übers Meer und gelangen eines Tages auf einen grossen Fluss, der sie in eine Welt aus lauter Seen, Flüssen und Inseln führt. Einer Zauberin oder Hexe, die sich mit an Bord befindet, fällt dann im Traum eine besondere Insel ein, die das Boot am nächsten Tag (offenbar von alleine) findet. Die «Besten» gehen an Land, deponieren tausend Gabeln (mile gablochai) auf der Insel und veranstalten ein grosses Fest. Nach drei Tagen kehren sie in ihre Heimat zurück. Sie wissen nun, dass es eine Welt jenseits ihrer Insel gibt – aber da sie keinem anderen Volk begegnen, sind sie auch überzeugt, dass sie die einzigen Menschen in der grossen Schüssel sind.

Warum die «Besten» auf der Insel ausgerechnet Gabeln niederlegen, wird im Text nicht erklärt ­– Julia Rudolphini (S. 202) vermutet, die Gabel sei ein Symbol für das Eindringen des Odom in den Faig-Raum.

Für das Fest auf der Insel bereiten die «Besten» in einem Kessel Sehnen mit Wein, Gewürzen und Pilzen zu. Ein ähnliches Sehnen-Rezept findet sich auch im Kochbuch von Jules Jette. Rudolphini (S. 220) nimmt an, dass es sich bei diesen Sehnen um eine spezielle Nahrung für die Reise gehandelt haben müsse – und sie behauptet, die «Besten» hätten wohl bereits vorgekochte Sehnen in getrockneter Form mitgeführt. Bei Jules Jette werden allerdings frische Sehnen verwendet.

Aufgrund der Beschreibungen nimmt Rudolphini (S. 193) an, die «Besten» seien von Santa Lemusa aus in das Delta des Amazonas geraten – und dann ein gutes Stück Fluss aufwärts gefahren. Angeregt durch einen Zeitungsartikel unternahm die Anthropologin zusammen mit drei Logen-Mitgliedern 2015 eine Exkursion in das Stromland des Amazonas – mit dem Ziel, die legendäre «Insel der Gabeln» zu finden.

* Wir beziehen uns in diesem Kapitel vor allem auf die Darstellungen der Loge von Castebar sowie auf einen Artikel von Julia Rudolphini («Le ‹Codex fuscinulorum› de Castebar». In: «Revue historique», no. 82, 2015, S. 191-222). Da nur Logen-Mitglieder Zugang zum «Codex fuscinulorum» haben, musste Julia Rudolphini vor Beginn ihrer Arbeit erst den ganzen Aufnahme-Prozess durchlaufen. Dass die Loge wohl auch bei der Färbung ihres Artikels ein Wörtchen mitzureden hatte, merkt man dem Text dann und wann an – ebenso die offensichtliche Faszination für das Thema. 

Siehe auch

First Publication: 10-11-2015

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