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Es ist schwierig, wirklich eine Zäsur zu machen – so wie es auch schwierig ist, sich aus seinem eigenen Schatten zu lösen. (Sonntag, 28. Februar 2016)

104. Flasche

Die Möglichkeit einer Zäsur

Cahors Château Bladinières 2011

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach künstlichem Brombeeraroma und ein wenig säuerlich. Mit der Bewegung wird ein Fruchtduft wie von einem Raumerfrischer oder einem Früchte-Tee wahrnehmbar, vielleicht auch ein Kaugummi. Im Mund ist der Wein eher säuerlich und leicht bitter, mit einer süsslichen Seite und ein wenig Tannin. Von innen riecht der Cahors nach einer unreifen Zwetschge, von den eigentümlich parfümierten Noten, welche die Nase von aussen wahrnimmt, gelangt nur wenig in den Mund – erst im Nachklang sind diese Odeurs spürbar. Wenn man ihn richtig durchkaut, hat der Wein eine etwas stinkige Seite, ist die Säure im Mund eher unangenehm, isoliert.

Vor zwei Tagen wurde mir in Paris mein Rucksack gestohlen. Darin befand sich alles, was ich für mein Leben und meine Arbeit brauche. Obwohl der Verlust einigen Ärger bedeutet, schwingt da auch ein Gefühl von Befreiung mit – als bestünde die Möglichkeit einer Zäsur, eines Neuanfangs oder wenigstens einer bedeutenden Wende. Das Material, mit dem wir uns herumschleppen, scheint uns bis zu einem gewissen Grad auch zu definieren – sein Verlust schafft also vielleicht tatsächlich Raum für Veränderungen. In dem Rucksack war auch der Brief einer Leserin aus dem Tessin – ein sehr netter und persönlicher Brief, auf den ich in Paris eine kurze Antwort formulieren wollte. Den Namen der Frau habe ich mir so wenig gemerkt wie das Dorf, aus dem das Schreiben kam. Ich werde mich für die Freundlichkeit also nicht bedanken können. Ich habe mit dem Rucksack auch Notizen, Rezepte, Zeichnungen und ganze Texte verloren – seltsamerweise aber grämt mich nichts mehr als der Verlust dieses Briefes. Hat das damit zu tun, dass ich jemandem etwas schuldig bleibe? Eine Zäsur scheint in meinem Leben nur unter der Bedingung möglich, dass ich zuvor alle Rechnungen beglichen habe. Nur wozu braucht es dann noch eine Zäsur?

Mit viel Zeit entwickelt der Wein eine stärker schmutzige Note – nicht mehr ganz frischer Urin, verdorbene Früchte, überalterte Konfitüre, Industriebrachen kommen mir in den Sinn.

Getrunken am Sonntag, 28. Februar 2016 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «E. Leclerc» in Saint-Louis (€ 6.25 im Januar 2016).

Nächste Flasche

Cahors Château Bladinières La Préférence

AOC, 2011, 13% Vol.

100% Cot (?)

Rotwein aus dem Südwesten (Frankreich), produziert von Famille Bladinières, Le Vignou in Pescadoires (auf Karte anzeigen).

First Publication: 5-3-2016

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