In Westeuropa gehört es zu den Ritualen des kulinarisch fein Gesinnten, das Loblied der vollreifen Früchte zu singen und sich darüber zu beklagen, dass Obst und Gemüse oft unreif geerntet werden und folglich ohne jeden Geschmack auf unseren Tischen landen. Auch in der Werbung ist die sorgfältig abgepasste Reife der verarbeiteten Früchte das am häufigsten vorgebrachte Argument für die besondere Güte eines Saftes, eines süssen Joghurts oder einer Dosenananas. Dabei mögen wir reife Früchte eigentlich nicht. Ihr Duft ist nämlich oft so heftig, dass er für unsere Begriffe bereits ans Faulige grenzt. Ausserdem stört es uns, dass gerade die wirklich reifen Früchte besonders gern auch von anderen Lebewesen genutzt werden – und seien es nur kleine Fliegen, die ihre Nachkommenschaft in einer nährenden Umgebung aufwachsen lassen wollen. Mit solchen Zeitgenossen wollen wir unsere Suppe nicht teilen.
Sieht eine Frucht schrumpelig aus oder verströmt sie einen heftigen Duft, wie das reifes Obst gerne tut, dann lassen wir meist lieber die Finger davon – denn wer weiss, was uns in ihrem Inneren alles erwartet. In Brasilien gibt es eine Frucht, die beide Kriterien mehr als erfüllt und deshalb nur selten zu den exotischen Schönheiten gehört, von denen Reisende mit leuchtenden Augen und frisch geleckten Lippen erzählen: Jenipapo sieht, will man sie freundlich beschreiben, aus wie eine in der Schale gekochte Bete, der die Röte abhanden gekommen ist. Ihre schrumpelige Haut scheint wie von Schimmel befallen und ist mit schwarzen Flecken übersät. Das dunkelbraune Ding von der Grösse eines Tennisballs weist ausserdem verschiedene Dellen auf – als sei es schon mehrfach zu Boden gefallen. In der Hand fühlt sich die Jenipapo schwer an und ein wenig klebrig, denn durch die ledrig-raue Haut tritt da und dort etwas farbloser Saft.
Die Frucht verströmt ungeöffnet einen heftigen Duft – ein wenig säuerlich, ein wenig fleischig-süsslich, gefährlich auf jeden Fall. Das Innere ist von einem viel helleren Braun als das Äussere, es hat eine damenstrumpfartige Farbe – und sieht ganz und gar nicht nach Erfrischung aus, eher denkt man an altes Fleisch. Gemessen an diesem Szenario ist der Duft der aufgeschnittenen Jenipapo überraschend vertraut – eine sehr reife Birne kommt einem in den Sinn oder vielmehr eine Birne in einem Kuchen, einer Tarte Tatin zum Beispiel. Zum Vertrauten gesellt sich aber dann doch eine leicht tropische Note, als wäre die Birne ganz leicht verdorben.
Im Kern der Jenipapo finden sich flache, etwa linsengrosse Kerne, an denen ein überraschend säuerliches und zurückhaltend aromatisches Fleisch hängt – Birne mit Zitrone, überaus erfrischend und harmlos. Das Fruchtfleisch, so weich und cremig es erscheinen mag, lässt sich erstaunlicherweise nicht mit einem Löffel aus der Schale heben. Es ist zäh, hat die Konsistenz von Shiitake-Pilzen. Der Mund schmeckt gekochte Birne mit Zimt – irritiert durch eine markante Säure, die so gar nicht zum Gesamtbild des Wesens passen will. Im Nachgeschmack bleiben etwas Säure und weit länger der Zimt.
Der Jenipapo-Baum (Genipa americana) gehört zur Familie der Rubiaceae (Rotegewachse) und ist im tropischen Amerika weit verbreitet. Er kann bis 20 Meter hoch wachsen und hat grosse lanzettförmige Blätter. Die Früchte werden roh gegessen oder zu Marmelade und Kompott verarbeitet. Uns machte das Aroma der Jenipapo Lust, sie mit Rinderbrust in grossen Stücken stundenlang zu schmoren.
First Publication: 16-4-2016
Modifications: