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Das Aroma der Milch hängt auch davon ab, was die Kühe fressen und welche Luft sie atmen – Weide an der A346 im Osten von Kasachstan. (Juli 2015)

Milch

Und das weiss das Lexikon

Als der Stoff, den die Mutter direkt für ihr Kind produziert, kann die Milch durchaus als das Nahrungsmittel aller Nahrungsmittel angesehen werden. Milch wird aber natürlich nicht nur frisch getrunken, sondern kommt in allen möglichen Gestalten auf den Tisch: Sahne, Butter, Buttermilch, fermentierte Milch, Molke, Käse, Joghurt, etc. Heute sind Milchprodukte auf der ganzen Welt verbreitet. Doch das war nicht immer so.

Geschichte. Die älteste Darstellung von Milchwirtschaft findet sich laut Alan Davidson («Oxford Companion to Food», Kapitel Milk), auf den wir uns hier vor allem beziehen, in Höhlenmalereien aus der Lybischen Wüste, die wohl vor dem Jahr 5000 v. Chr. entstanden sind. Sie zeigen Tiere, die in Herden gehalten und gemolken werden – eine Szene könnte gar von der Käseherstellung erzählen. Auch die Sumerer und die Ägypter kannten die Milch und stellten Produkte aus geronnener Milch her, wie verschiedene Darstellungen zeigen. In der Bibel wird das Gelobte Land als das Land beschrieben, wo «Milch und Honig» fliessen – und Moses nennt die Milch von Schaf und Kuh als Gaben Gottes. Die Griechen kannten vor allem die Milch von Ziege und Schaf, die Römer schätzten auch Stutenmilch, Kamelmilch und Eselsmilch. In China und Südostasien hingegen war die Milchwirtschaft praktisch unbekannt – ebenso in Nord- und Südamerika vor Ankunft der Europäer. Und auch in weiten Teilen Afrikas kannte man vor der Kolonialzeit keine Milch.

Zusammensetzung. Milch besteht zur Hauptsache aus Wasser. In Kuhmilch sind es 87%. Dazu kommen 5% Zucker (vor allem Laktose). Wird die Milch fermentiert (etwa bei der Herstellung von Joghurt oder Käse), zerfällt die Laktose in Dextrose und Galactose – stellt also kein Problem mehr dar für die Verdauung (siehe unten den Abschnitt zur Laktose-Intoleranz). Milch enthält im Durchschnitt etwas weniger als 4% Fett – gemäss Davidson besteht es aus drei Arten: Carotinoide (gelbe Pigmente aus Pflanzen), freie Fettsäuren (die wichtig sind fürs Aroma) und fettlösliche Vitamine A, D, E und K. In Milch finden sich auch wasserlösliche Vitamine C und B-Gruppe sowie 3.5% Proteine, vor allem Kasein – ausserdem Spuren von Acetaldehyd, Aceton und Formaldehyd. Ganz frische Milch enthält ausserdem schwefelhaltige Verbindungen, die für den den typischen «Kuhgeschmack» verantwortlich sind.

Menschliche Milch ist wässriger als Kuhmilch, reicher an Zucker, ärmer an Fett und Protein. Die Zusammensetzung der Milch steht in einer engen Beziehung zur Stillzeit: Menschliche Babys wachsen langsamer als Kälber. Die aromatische Folgen dieser Unterschiede beschreiben Robert Habs und Leopold Rosner («Appetit-Lexikon», S. 329) wie folgt: «Die Kuhmilch schmeckt voller als die Frauenmilch und die der Frauenmilch verwandte Eselsmilch, dabei ist sie milder als die eigentümlich streng schmeckende Büffel- und Ziegenmilch und doch nicht fade wie die Schafsmilch, deren Genuss schon nach wenigen Tagen Überdruss erregt.»

Allerdings variiert die Zusammensetzung der Milch auch von Rasse zu Rasse, von Tier zu Tier. Sie hängt von der Ernährung ab und also von der Jahreszeit, von der Luft, vom Alter der Tiere, der Tageszeit, der Melkfrequenz etc. – dementsprechend fällt auch der Flavour der Milch sehr unterschiedlich aus.

Laktose-Intoleranz

Der Mensch ist von Natur aus so eingerichtet, dass er nach dem Stillen die Fähigkeit verliert, Milchzucker abzubauen. Er wird also laktose-intolerant weil der Körper aufhört, das für den Zuckerabbau nötige Enzym Lactase zu produzieren. Der Grund hierfür ist einfach, wie Harold McGee («On Food and Cooking», Kapitel Milk and Dairy Products) weiss: «It's a waste of its resources for the body to produce an enzyme when it's no longer needed; and once most mammals are weaned, they never encounter lactose in their food again.»

Einzig die Völker des europäischen Nordens, bei denen die Milchwirtschaft ein besonders zentrale Rolle spielt, haben im Verlauf der Zeit die Fähigkeit entwickelt, die Laktose auch als Erwachsene verdauen zu können – und diese Fähigkeit haben sie auch in ihre Kolonien mitgenommen. Auf der Weltkarte der Laktose-Intoleranz fällt auf, dass Milch nicht nur im Norden Europas, sondern auch in Australien und Nordamerika überdurchschnittlich gut verdaut wird – in jenen Gebieten also, in denen die Urbevölkerung besonders stark ausgerottet wurde.

Wenn ein Erwachsener ohne Laktase-Aktivität mehr als nur ein paar wenige Schlucke Milch trinkt, dann passiert die Laktose den Dünndarm und wird erst im Dickdarm von Bakterien umgewandelt. Dabei entsteht laut McGee «carbon dioxide, hydrogen, and methane: all discomforting gases. Sugar also draws water from the intestinal walls, and this causes a bloated feeling or diarrhea.»

Früher wusste man nicht um diese Zusammenhänge. Bei Franz Gräffer («Appetit-Lexikon», Kapitel Milch) liest man 1830 noch: «Nachtheilig hingegen ist sie [die Milch] für alle jene, deren Verdauungskräfte schwächlich oder an stark reizende Speisen und Getränke gewöhnt sind. In einem schwächlichen Magen, zumahl wenn er viel Säure enthält, wird die Milch leicht sauer, und erregt dann ein Heer von Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Sodbrennen, Magenkrampf etc. Ja, es gibt beynahe kein Nahrungsmittel, das nachtheiliger für Hypochondristen und Candidaten der Gicht und des Podagra wäre, als dieses; besonders dann, wenn sie bey den Genusse desselben nicht in beständiger Bewegung sind, sondern viel sitzen oder liegen.»

Milchprodukte

Ohne Kühlung ist Milch nicht sehr lange haltbar. Sie wird bald einmal sauer, ranzig oder gerinnt. Sämtliche Milchprodukte sind aus dem Bemühen heraus entstanden, diese Tendenz der Milch in einer für die menschliche Ernährung vorteilhaften Art zu nutzen. Die berühmtesten Milchprodukte sind Butter, Käse und Joghurt – sie alle entstehen durch mechanische resp. chemische Veränderung des Gleichgewichts in der Milch.

Rohe Milch, frisch von der Kuh, enthält zahlreiche Enzyme, die jedoch bei der Pasteurisierung (siehe unten) zerstört werden. Die enzymatischen Prozesse, die bei der Herstellung von Milchprodukten aller Art eine zentrale Rolle spielen, werden aber sowieso weitgehend von aussen zugesetzt.

Kaum hat sie den Euter verlassen, wird die Milch von zahlreichen Bakterien befallen, einige führen zu ihrer Verwesung, andere sind nützlich – vor allem die Milchsäure produzierenden Bakterien, die für die Herstellung fermentierter Milchprodukte unablässig sind. Dennoch werden bei der Fermentation gewöhnlich zusätzlich Starterkulturen beigegeben. So will man den erwünschten Bakterien einen Vorsprung vor den anderen verschaffen – sind sie einmal in der Mehrzahl, können schädliche Bakterien kaum noch wachsen.

Alan Davidson («Oxford Companion to Food», Kapitel Milk) beschreibt Milch als «Physically, a fluid, as all can see. It can be more precisely described as an emulsion, colloidal suspension and solution» – eine Emulsion, Kolloid-Suspension und Lösung, also eine ziemlich komplexe Sache.

Dicklegung. Das Kasein (als das wichtigste Protein) und die Fette sind in separaten kleinen Mizellen angeordnet (in Gruppen von Molekülen, Globuli), die unabhängig voneinander in einem Wasser schwimmen, in dem Zucker, Salze und die übrigen Proteine verteilt sind. Wird die Balance durch einen chemischen oder physischen Einfluss gestört, bricht diese Struktur zusammen. Kasein und Fett verbinden sich dann zu einem Bruch und es bleibt eine wässrige Flüssigkeit zurück, die Molke. Anders ausgedrückt: Wenn die Milch gerinnt, dann verwickeln sich die lange Stränge der Kasein-Moleküle und verbinden sich miteinander – auf Deutsch bezeichnet man diesen Prozess als Dicklegung. Wie stark diese Verbindung passiert, hängt davon ab, was die Gerinnung provoziert.

Die eher milde Milchsäure, wie sie bei gewöhnlichen Säuerungsprozessen entsteht, führt nur zu einer lockeren Verbindung der Stränge und also zu einer leichten Verdickung der Milch, bei der es kaum zu einer Auftrennung in Bruch und Molke kommt (zum Beispiel Joghurt). Enzyme wie Lab (ein Gemisch aus den Chymosin und Pepsin, welches aus dem Labmagen von Wiederkäuern im milchtrinkenden Alter gewonnen wird) provozieren indes eine deutlich stärkere Verknüpfung und Zusammenziehung des Netzes von Strängen. Dabei wird auch die Molke als eine separate Flüssigkeit herausgepresst (zum Beispiel bei der Käseproduktion).

Homogenisierung. Bei der Homogenisierung geht es darum, die in der Milch vorhandenen Fettkügelchen so stark zu verkleinern, dass sie nicht mehr zur Oberfläche aufsteigen. In unbehandelter Milch sind die Fettkügelchen so gross, dass sie langsam zur Oberfläche aufschweben (Fett ist ja leichter als Wasser). In Frankreich hat man ein Verfahren entwickelt, bei dem die Milch durch kleine Löcher gepresst wird, wobei die Fettkügelchen verkleinert werden. Obwohl die Homogenisierung ein rein mechanischer Prozess ist, verändert sich dabei der Flavour der Milch: Sie schmeckt fader und sieht weisser aus. Homogenisierte Milch schäumt leichter, kocht schneller über und gerinnt eher. Die Homogenisierung führt aus mikrobieller Sicht nicht zu einer längeren Haltbarkeit.

Pasteurisierung. Nahezu die gesamte Milch, die in den Verkauf gelangt, wurde vorgängig pasteurisiert mit dem Ziel, die meisten Bakterien abzutöten und die Milch so haltbarer zu machen. Die sanftestes Pasteurisierung geschieht bei Temperaturen unter dem Siedepunkt und unter 74º. Jenseits dieser Temperatur lösen sich die kompakt aufgewickelten Moleküle der Lactoglobulin-Proteine auf und die Milch bekommt einen gekochten Geschmack. Heute wird die Milch meist für 15 bis 30 Sekunden auf 72 bis 75 °C erhitzt – und danach schnell wieder abgekühlt. So pasteurisierte Milch bleibt bei 6 bis 7° C etwa 6 bis 10 Tage lang gut. Bei der Herstellung von UHT-Milch (Ultra High Temperature) wird die Milch für 1 bis 2 Sekunden auf 138 °C erhitzt.

Pasteurisierte Milch kann nicht mehr milchsauer vergären. Denn einerseits wurden bei der Pasteurisierung fast alle Bakterien ausgemerzt – und andererseits fühlen sich Milchsäurebakterien bei Kühlschranktemperaturen nicht sonderlich wohl. Die Milch wird also schliesslich von proteolytischen Bakterien angegriffen, welche bei niedrigen Temperaturen arbeiten können und die Proteine zerstören. Die Milch wird so alkalisch und beginnt sehr unangenehm zu riechen.

Entrahmung. Bei der Entrahmung von Milch wird traditionell einfach die zur Oberfläche aufsteigende Fettschicht abschöpft. Heute geschieht dies meist in einer Zentrifuge – die Milch wird an die Ränder geschleudert, der leichtere Rahm läuft in der Mitte zusammen.

Kondensmilch. Die Milch wird unter Vakuum erhitzt, was den Siedepunkt herabsetzt, bis ein Grossteil des Wassers verdampft ist. Diese dicke Sauce wird dann mit Zucker versetzt und so besser haltbar gemacht.

Charakter und Verwendung

Beim Kochen mit Milch liegt ein Hauptproblem darin, dass die Milch auf die eine oder andere Art gerinnt. Bei niedrigeren Temperaturen flockt sie aus, jenseits von 70º C koaguliert sie. Die Hitze denaturiert die Proteine und sie steigen zur Oberfläche auf, wo sie eine Schicht bilden, die Haut auf der Milch. Die Bildung einer solchen Haut kann durch ständiges Rühren verhindert werden – kaum aber hört man auf zu rühren, bildet sich doch die Haut. Aus demselben Grund klebt die Milch auch am Rand der Pfanne fest. Mit heissem Dampf oder einem schnell schlagenden Rührstab kann man provozieren, dass die Milch schäumt statt eine Haut zu bilden – die Ursache für den Schaum aber ist ebenfalls das denaturierte Eiweiss. Das Ausflocken und die Koagulation sind irreversibel.

In der Küche wird Milch trotzdem sehr vielfältig eingesetzt – für Saucen (Béchamel), Suppen, Gratins, Fisch- und Fleisch, Desserts, Flans, Süssspeisen, Cremes aller Art, Eis, Teige (Beignets, Crèpes, Waffeln) und sogar «Milchkonfitüre». Und Milch wird natürlich auch in den unterschiedlichsten Formen getrunken: als Kakao, mit Kaffee, in Shakes etc.

Wird keine Tierart genannt, bezieht sich der Begriff «Milch» in Mitteleuropa fast immer auf Kuhmilch, die einzige, die überall verkauft und konsumiert wird – auf der Hüttstett-Alp über Lungern. (August 2012)

Rezepte mit Milch

First Publication: 9-3-2016

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