D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Das Waldhaus von Tali Hayot – umringt von zahllosen Käfigen.
Ein Haus mitten im dichtesten Wald, verschiedene gehe und ein Garten.

Tali Hayot – Herr der Fallen

Zuerst gab es ein feines Klingeln, dann ein Scheppern, gefolgt vom Geräusch eines Gongs, das allmählich in ein Art metallischen Singsang überging. Im Halbschlaf war ich überzeugt, gleich in einem Kloster am Himalaja aufzuwachen. Schon spürte ich, wie mich der Dalai Lama persönlich aus dem Schlaf zu rütteln versuchte. Ich setzte also mein mildestes Lächeln auf und öffnete die Augen. Der Dalai Lama hatte einen gigantischen Vollbart, war tiefschwarz und hiess, wie mir in diesem Moment einfiel, eigentlich Tali Hayot. «Das Wildschwein, wach auf», brüllte das Oberhaupt der buddhistischen Glaubensgemeinschaft und liess endlich meine Schulter los. 

Mit Hut, Messer und einer Kiste Burgunder

Natürlich, das Wildschwein! Von Dienstag bis Freitag stand Tali Hayot hinter dem Kontor seiner schönen Apotheke an der Rue du Fenouille (Ri Fnui) in Port–Louis. All seine Wochenenden aber verbrachte er in einer einfachen Holzhütte mit Wellblechdach auf der Grenze zwischen dem Marais de Sentores und dem Wald des kleinen Frosches (Tikrapo). Ein freundlicher Apotheker unter der Woche, mutierte Tali jeden Feitag punkt fünf Uhr zum «Grosswildjäger», wie er sich selbst gerne nannte. Mit seinem speckigen Lederhut, einem Messer von der Grösse eines Samuraischwertes und einer Kiste Burgunder brach er Freitag für Freitag in sein Waldhaus auf - in einem röchelnden amerikanischen Militärjeep, der vermutlich schon bei der Eroberung der Brücke von Arnhem im Einsatz war. 

Skulpturenpark mit Fallen

Ein Jäger im klassischen Sinne war Tali nicht – jedenfalls besass er weder ein Gewehr noch Pfeil und Bogen. Tali war vielmehr ein Fallensteller. Rund um sein Haus hatte er die verschiedensten Gruben ausgehoben, Netze, Schlingen und Eisen ausgelegt, die er jeweils noch am Freitagabend «scharf machte», wie er sich ausdrückte. Die meisten dieser Vorrichtungen hatte Tali selbst entworfen und konstruiert - einige seiner Erfindungen sahen denn auch überaus seltsam aus. Ja ein nicht eingeweihter Besucher des Terrains hätte vielleicht gar meinen können, er befände sich in einem Park mit Skulpturen eines Art-Brut-Künstlers. Die Fallen aber funktionierten – genauso wie die ganzen Alarmsysteme, die ebenso ausgeklügelt wie ungewöhnlich waren und aus Talis Hütte ein veritables Kommandozentrum machten. Was mich geweckt hatte, war der Alarm für die Wildscheinfalle: Eine Art Traube aus kleinen Glöckchen am Ende eines Fadens, der durch zweihundert Meter Wald und über verschiedene Rollen zur Klapptüre der Wildschweinfalle führte. Ging diese Türe zu, so riss sich die Glöckchentraube los und fiel in eine grosse chinesische Klangschale. 

Von Kokosnüssen verführt

In Boxershorts, mit erst halb geöffneten Augen, rannte ich hinter Tali her durch den Wald. Wir kamen zu einer kleinen Lichtung, auf der eine Kiste aus Holz und Metallgitter stand, in der es mächtig rumpelte. Vorsichtig ging wir näher heran. Aus der Kiste heraus blickten uns die kleinen Augen eines noch ganz jungen Ebers an – feindselig und eher angriffslustig als verängstigt. Vom Geruch halb aufgeschlagener Kokosnüssen verführt, hatte sich das Tier in die kleine Kiste locken lassen. Kaum hatte es eine der Nüsse mit der Nase berührt, fiel hinter ihm die Falltüre zu.

Mäuse fängt man mit Speck – Wildschweine aber mit Kokosnüssen.
Aufgebrochene Kokosnüsse in einer Falle.

Tali nahm eine Art Pfeil oder Spritze aus seiner Tasche und jagte sie dem Eber geschickt in die Hinterflanke. Das Tier versuchte sich gegen den Angreifer zu wehren – konnte sich jedoch in der engen Kiste nicht drehen. Einige Sekunden später schien das Schwein plötzlich müde, legte sich nieder und schlief gleich darauf ein. «Ein schwaches Narkotikum», gab der Apotheker bekannt: «Wir haben ungefähr dreissig Minuten». Er öffnete das Türchen und wir zogen das bewusstlose Tier vorsichtig aus der Falle. Mit einem Strick band Tali die Läufe zusammen und schob eine lange Stange hindurch. So trugen wir das Schwein durch den Wald zum Haus und legten es dort in einem kleinen Gehege nieder. «Der magere Monsieur muss erst noch ein wenig gemästet werden», entschied Tali und streichelte dabei das Haupt des bewusstlosen Tieres. 

Gefangene Tiere in grosser Zahl

Tatsächlich hatte der kleine Eber nicht allzuviel Fett auf den Rippen. Mir schien allerdings, dass der Apotheker auf seinem Anwesen doch seltsam viele Wildtiere mästete – Hasen, Buschwachteln, Affen, Fasane, eine Waldziege etc. Bei meiner Ankunft waren mir vor allem auch die zahlreichen Meerschweinchen aufgefallen, die der «Grosswildjäger» in Kisten aus Holz und Maschendraht hielt.

Einfach aber wirkungsvoll: Mit solchen Fallen werden auf Santa Lemusa Wildschweine gefangen.
Eine grosse Falle mit Klapptüre.

Irgendwann später erfuhr ich, dass es Tali schlicht nicht übers Herz brachte, die gefangenen Tiere zu töten – auch die ganz kleinen nicht. Also mästete er sie und überliess die Messerarbeit einem befreundeten Metzger aus Gwosgout, der alle paar Wochen vorbeikam und die schlachtreifen Tiere mitnahm – in Abwesenheit von Tali. Auch dem Wildschwein, das mich heute morgen aus meinen Träumen vom Himalaya gerissen hatte, sollten noch einige Wochen freier Kost und Logis auf Talis Anwesen beschieden sein – ehe der Metzger beschloss, es auf seine weitere Reise in Richtung Erleuchtung zu schicken. 

Wildschwein in Schokolade

Wenn auch kein Schlachter, war Tali doch ein Experte, was die Zubereitung von Wildfleisch anbetraf. Am Mittag nach unserem Eber-Fang überraschte er mich mit einem Wildschwein-Entrecôte, das er in ein wenig ausgelassener Butter (Bèlu) gebraten hatte. Es war innen noch blutig und so zart, dass man es fast mit der Gabel zerteilen konnte. Und am Abend gab es ein Wildscheinragout, das während Stunden in dunkler Schokolade und Rum geschmort hatte - es schmeckte ein wenig bitter und holzig-dumpf als habe man einen halben Regenwald mitgekocht. Dazu ein Aloxe-Corton und das Zirpen der kleinen Frösche im Wald…

 

Misstrauisch – wohl zu recht: Eber in einem von Talis Gehegen.
Ein Eber mit mächtigen Zähnen in einem Gehege.

Falls auch Sie zu den Kunden der «Famasi Fnui» gehören, sprechen Sie Tali Hayot auf die Bilder an der Wand seiner Apotheke an: Sie zeigen sein Häuschen und einige der Tiere, die er gefangen hat. Wer weiss, vielleicht fordert er Sie ja auf, ihn doch am Wochenende auf seinem Waldgut zu besuchen. Falls ja, sollten Sie die Einladung unbedingt annehmen – Tali ist wirklich ein fantastischer Koch und so grosszügig, dass er sie höchstwahrscheinlich nicht nur herumführen, sondern auch zum Essen einladen wird. Ein kleiner Hinweis noch: Bringen Sie das Gespräch besser nicht auf die zahlreichen Meerschweinchen, die Tali auf seinem Anwesen sammelt. Und falls Sie nicht zu den Glücklichen gehören, die sich bei Tali an den Küchentisch setzen dürfen, dann können Sie sich vielleicht mit einem Wildschein-Rezept trösten, das wir ebenfalls von dem «Grosswildjäger» erhalten haben.

Vermutlich auch eine Delikatesse: ein Meerschweinchen in einem von Talis Gehegen.
Ein Meerschweinchen hinter Gittern.

Siehe auch

First Publication: 1-2007
Modifications: 24-2-2009, 17-6-2011