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Bondyé kann auch in einem buddhistischen Schrein verehrt werden.

Religion auf Santa Lemusa

«Kija Bondyé fè fanm?» («Comment le Bondieu a-t-il fait (crée) la femme?») – «Wie hat der Liebe Gott die Frauen geschaffen?». Im aufgeklärten Westeuropa finden wir auf diese Frage kaum mehr eine Antwort, ja die Frage selbst scheint schon deutlich den Randzonen des politisch Korrekten entlang zu schlingern. Da ausserdem das Interesse an Gott in weiten Kreisen unserer Gesellschaft nicht mehr sonderlich gross ist, akzeptieren wir in diesen postfeministischen Zeiten auch gerne, dass Gott wohl entweder selbst eine Frau ist oder aber dem Schoss einer Frau entsprang.

Sentimentale Glaubensform

Nicht so auf Santa Lemusa: So abergläubisch die kreolische Gesellschaft auch sein mag, viele Menschen glauben aufrichtig an einen Lieben Gott - manche sogar an mehrere. Dieser Glaube ist indes keineswegs rigoros und noch weniger militant – eher müsste man von einer sentimentalen Glaubensform sprechen. Blutige Religionskriege sind hier unvorstellbar, denn Bondyé (der Liebe Gott) ist zu allen gut und der Glaube sowieso eine eher persönliche Angelegenheit. Zwar gibt es die verschiedensten, religiösen Glaubengemeinschaften auf der Insel, werden die unterschiedlichsten Rituale in den diversesten Heiligtümern praktiziert. Und doch würde sich hier niemand wegen Glaubensfragen ernsthaft aufregen - und schon gar nicht zur Waffe greifen.

«Jistis a Bondyé»

Mit der Zeit, so ist man auf Santa Lemusa überzeugt, wird sich ja dann schon zeigen, welche Art der Verehrung dem Lieben Gott am meisten gefällt. Denn schliesslich lässt sich ja auch Bondyé selbst gerne sehr viel Zeit, um auf die Geschehnisse dieser Welt zu reagieren: «Jistis a Bondyé sé kabwèt a bèf» («La justice de Dieu est un char à boeufs»), so heisst es – «Die Gerechtigkeit Gottes ist ein Ochsenkarren». – Manche auf Santa Lemusa praktizieren simultan die verschiedensten Rituale. Morgens legen sie vielleicht vor einem Hindu-Schrein ein paar Blüten nieder, nachmittags verbrennen sie etwas Papiergeld in einem daoistischen Tempel, am Samstag essen sie jüdisch, am Sonntag singen sie mit den Katholiken und zwischendurch suchen sie vielleicht auch noch bei buddhistischen Mönchen Rat. – Der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster religiöser Praktiken zum Trotz glauben viele daran, dass hinter allem im Grunde ein Gott steckt: Bondyé eben, an den sich jedermann jederzeit wenden kann – wo und wie es ihm beliebt.

Grosszügig und jovial

Es lässt sich kaum genau sagen, wer oder was dieser Gott der Kreolen ist. Aber auf jeden Fall ist er grosszügig und jovial. Ja in manchen Zügen scheint Bondyé nach dem Bild eines ‹guten›, weissen Plantagenbesitzers aus der Zeit der Sklaverei geformt. Dies drückt sich auch in gewissen Redewendungen aus. Wenn eine Sache völlig unrealistisch oder unrealisierbar scheint, dann heisst es auf Santa Lemusa: «Si sa fèt, Bondyé sé on Nèg» («Si cette chose se réalise, alors Dieu est un Nègre») – «Wenn sich das realisieren lässt, dann ist der Liebe Gott ein Neger». Gott ist also auf jeden Fall nicht völlig schwarz - in der kreolischen Logik kann er folglich alles mögliche sein, alle denkbaren Namen führen und in einem indischen Tempel genauso gut verehrt werden wie in einer katholischen Kirche oder an jedem beliebigen Ort dieser Welt.

Les Compères

Die äusserst zahlreichen kreolischen Legenden handeln oft von Compère Lapin (Bruder Hase) oder Compère Tigre. Allerdings kommt auch der Bondyé in vielen Geschichten vor – und meist sind es die Rätsel seiner Schöpfungen, die da sinnvolle Erklärung finden. So auch in einer Legende, die von Kannèl, Gott und den Frauen handelt. Hören wir hier nun einem lemusischen Erzähler zu, wie er diese Geschichte seinem Publikum schmackhaft macht.

Viele Menschen auf Santa Lemusa glauben aufrichtig an einen Lieben Gott - manche sogar an mehrere.

Wie Gott die Frau erschuf

«Messieurs et Dames la Compagnie, bien le bonsoir», mit diesen Worten tritt der Erzähler in die Runde – es muss bereits Abend sein, denn lemusische Legenden dürfen erst nach dem Sonnenuntergang erzählt werden, im Licht einer Mondnacht etwa. Hält man sich nicht an diese Regel, dann laufen alle Anwesenden Gefahr, in Flaschen verwandelt zu werden. – «Mantè manti kouyon kouté» («Les menteurs mentent, les imbéciles écoutent»), zerstreut der Erzähler nun sämtliche Bedenken seiner Zuhörerschaft: «Die Lügner lügen, die Idioten hören zu». Dann erst beginnt er mit seiner Geschichte: «Messieurs et Dames, ihr habt doch wie ich gehört, dass der Liebe Gott das Universum geschaffen hat, den Himmel und die Erde. Nachdem er so getan, beschlich ihn eine unendliche Langeweile: Er dachte nach und verfiel schliesslich auf die Idee, ihr wisst das so gut wie ich, sich einen Gefährten nach seinem Bilde zu formen. Aus ein wenig Erde und ein wenig Spucke schuf er also den ersten Menschen und nannte ihn Adam. Anfangs ging das ganz gut: Gott und Adam amüsierten sich, sie spielten miteinander die verrücktesten Spiele oder vertieften sich in Männergespräche. Nach einiger Zeit aber hatten sie alle nur möglichen Spiele gespielt und auch über alle denkbaren Themen gesprochen. Adam begann sich zu langweilen und schleppte sich immer heftiger gähnend durchs Paradies. Also beschloss Gott, diesem Mann eine Gefährtin zur Seite zu geben. Unter einem blühenden Zimtbaum versetzte er Adam in sanften Schlaf und nahm aus seinem Körper eine Rippe.

Das Problem mit Adams Kotelett

Meine Damen und Herren, der Verfasser der Genesis war nicht da an jenem Tag, ja er war noch nicht einmal geboren: Er hat also nur aufgeschrieben, was ihm ein anderer erzählt hat. Auch dieser andere aber war nicht da an jenem Tag im Paradies. Daher kommt es, dass diese Geschichte immer ganz falsch erzählt wird. Es stimmt zwar, dass der Liebe Gott dem Adam eine Rippe entnahm. Allerdings war er dann so erschöpft von dieser Anstrengung, dass er sich erst einmal gegen den Baum lehnte, um ein wenig auszuruhen. Die Rippe legte er neben sich auf den Boden. Da aber kam der treueste Freund und Begleiter des Lieben Gottes ganz zufällig des Wegs:Compère Chien. Das liebe Tier sah das schöne Rippchen neben seinem dösenden Herrchen liegen, Saft schoss ihm in den Rachen, er stürzte sich auf das gute Stück und rannte blitzschnell mit Adams Kotelett in den Fängen davon.

Süss und warm zugleich

Der Liebe Gott hatte gut pfeifen und rufen, Compère Chienhatte sich mit seiner Beute längst in sichere Distanz gebracht. Da aber fiel von dem Zimtbaum ein Stück Rinde zu Boden, genau an jene Stelle, wo eben noch Adams Rippchen lag. Auch gut, sagte sich Gott, der von Schöpfungsstrapazen doch ziemlich mitgenommen war. Und so kam es, dass er die Frau aus einer Zimtrinde schuf - süss und warm zugleich, leicht scharf und manchmal auch ein wenig bitter». «Aus einem Stück Rinde - da übertreibst du aber», regt sich da eine junge Frau aus dem Publikum auf. «Was beklagst du dich», gibt der Erzähler zurück, «ihr seid doch der Zimt unseres Lebens». Da meldet sich eine andere Stimme: «Sag mal, woher willst du das alles wissen? Du warst an jenem Tag doch auch nicht dabei». «Messieurs et Dames la Compagnie, es war der Zimtbaum selbst, der mir seine Geschichte eingeflüstert hat. Wenn ihr euch in seinen Schatten legt und ganz gut zuhört, dann werdet auch ihr die Wahrheit vernehmen.».

Siehe auch

First Publication: 2002

Modifications: 25-2-2009