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Gewürze aus Santa Lemusa

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In den hohen Regalen der Boutik Cho, in Säcken und Säckchen, in Schachteln und Dosen lagern zahllose Gewürze – traditionelle Mischungen ebenso wie die Spezialitäten des Hauses.

Boutik «Cho» (Suzanne Confiant)

Die Boutik «Cho» liegt an der Rue Combava (auf Karte anzeigen) im Quartier Miosa, also mitten in der Altstadt von Port-Louis und gilt als die beste Gewürzhandlung der Insel. Die Boutik wurde 1985 von Suzanne Confiant gegründet, deren Familie schon seit Generationen mit Gewürzen handelt. Viele der Rohstoffe, die Confiant für ihre Gewürze braucht, züchtet sie in ihrem eigenen Garten am Ufer der Miosa – ausserdem arbeitet sie mit verschiedenen Bauern der Region zusammen.

Ihre Hüften schwingen mit, folgen wie von alleine den schnellen Läufen einer elektrischen Orgel, die aus zwei Lautsprechern plärrt: Lami Luiss, das war ihr Liebling, damals in den siebziger Jahren – der unbestrittene König der Tasten. «Bon sang, bon sang, sang mêlé…», summt Suzanne Confiant leise mit: «Das war noch Musik! Was heute so gespielt wird, das hat doch alles keinen Schwung mehr, das ist doch alles schrecklich brav – ‹mizik pou bébé›, eine Musik für Babys».

Das beste Papuk der Insel

Wer die Boutik Cho im Zentrum von Santa Lemusa betritt, sollte dem wohl besser nicht widersprechen, denn hier läuft ohne Unterlass Antillen-Jazz aus den 70er Jahren – und zwar laut. Auch ein Fernseher ist dauernd an, doch ohne Ton. «Der läuft nur wegen dem Licht und der Farbe», grinst Suzanne Confiant und verdreht die Augen: «Wer will schon das Programm sehen?». – Sie ist immer noch eine Schönheit mit pechschwarzem Haar – auch wenn ihre Hüften wohl etwas runder geworden sind seit jenen hitzigen Jahren, in denen sie mit ihrem Körperschwung die Jazz-Lokale der Insel durcheinander brachte. Heute ist Suzanne Confiant selbst eine Königin, wie Lami Louiss: Sie bringt zwar nicht die Tasten einer Orgel zum Tanzen, dafür aber die Gaumenknospen: «Suzanne Confiant, laren di zépis», die «Königin der Gewürze», wird sie auf der Insel genannt.

Gewürze als Familientradition

Seit vier Generationen schon handelt ihre Familie mit Gewürzen und Kräutern. Ihr Grossvater besass einen eigenen Schoner, mit dem er noch bis in die 1980er Jahre hinein Gewürze und andere Waren von Insel zu Insel schiffte. Ihr Vater dann verlegte den Schwerpunkt vom Handel vermehrt auf die Produktion. Er kaufte ein Stück Land am Ufer der Miosa und legte einen grossen Garten an, in dem er die verschiedensten Gewürze kultivierte. «Mein Vater hatte eine ausserordentlich feine Nase und sein Papuk galt als das beste der Insel», rühmt Suzanne Confiant: «Er hat mit nicht nur das Handwerk beigebracht, sondern auch die Liebe zu diesen Dingen». – Allem Interesse für das Gewürzwesen zum Trotz allerdings hatte Suzanne Confiant zunächst keineswegs vor, in den Gewürzhandel einzusteigen: «Ich wollte reisen, die Welt sehen und vor allem tanzen». Also packte sie im Frühling 1976 ihr Bündel und fuhr mit dem Grossvater nach Martinique. Von dort ging es dann mit einem Frachtschiff weiter nach Europa – ganze drei Wochen dauerte die Überfahrt bis nach Marseille.

Verliebt in Marseille

«Ich war ein echtes Blumenkind, damals, und es war eine gute Zeit. Als ich in Marseille an Land ging, da dauerte es keine 24 Stunden, und schon hatte ich mich verliebt. Sein Name war Jean-Pierre, doch er kam aus dem Libanon. Er hat am Hafen die Leute photographiert und ihnen die Bilder dann für ein Trinkgeld verkauft. Auch von mir hat er Fotos gemacht». Sie schlägt ein Album auf, das in verblichenen, rot-grün-gelben Stoff eingebunden ist. Noch blasser sind die vier Polaroid-Fotos, die sie am Hafen von Marseille zeigen: eine junge Frau mit kurzem Haar, in ausgewaschenen Jeans, gross mit neugierigen Augen und einem Rucksack auf den Schultern.

Suzanne Confiant 1976 am Hafen von Marseille.

«Das war alles, was ich an Gepäck mit hatte, damals brauchte ich nicht viel. Warum ich allerdings das Gefühl hatte, ich müsse nach Europa fahren, um Tanzen zu lernen, weiss ich nicht. Auch war Marseille ja nicht gerade die Hauptstadt des Tanzes – aber ich hatte eben das erste Schiff genommen, das ich bekommen konnte. Wen wundert es da, dass in Sachen Tanz zunächst gar nichts geschah. Aber Jean-Pierre, der halb Marseille kannte und vor allem natürlich seine Landsleute, hat mir Arbeit besorgt. Erst habe ich Fahrkarten verkauft auf einer kleinen Fähre, die zwischen der nördlichen und der südlichen Hafenmole hin und herfuhr. Später hat mich einer der zahlreichen Onkel von Jean-Pierre als Verkäuferin eingestellt. Dieser Onkel allerdings, oh gran dékontrolaj, dieser Onkel führte ausgerechnet eine Gewürzhandlung».

In der Meisterklasse

Suzanne Confiant lacht und fährt sich mit beiden Händen durch das kräftige Haar: «Das war ein phantastischer kleiner Laden, ganz in der Nähe der Canebière. Und Monsieur Mahoud, wie dieser Onkel hiess, war ein wirklicher Kenner der Materie. Er hat die Gewürze selbst aus verschiedenen Ländern des Orients importiert und wusste über all seine Produkte bestens Bescheid: Er kannte nicht nur ihre Eigenschaften in der Küche, sondern wusste auch wie sie sich auf die Gesundheit auswirken, wie und wo sie am besten wachsen, wie sie verarbeitet und aufbewahrt werden müssen, welche Legenden und Mythen ihnen anhängen etc. Mein Vater war die Grundschule gewesen – Monsieur Mahoud aber war die Meisterklasse».

Rückkehr nach Santa Lemusa

Dennoch wollte Suzanne Confiant den Traum einer Karriere als Tänzerin noch nicht aufgeben – und sie nahm sogar ein paar Stunden bei einer russischen Lehrerin, die allerdings «leider kein Wort Französisch sprach, was den Unterricht etwas erschwerte». Dann aber verliebte sich Jean-Pierre in eine junge Französin. «Monsieur Mahoud bot mir zwar an, weiterhin für ihn zu arbeiten. Ich beschloss jedoch, nach Paris zu gehen und dort mein Glück zu versuchen. Monsieur Mahoud gab mir die Adresse eines Cousins mit, dessen Familie mich in den ersten Tagen aufnahm – mit grosser Freundlichkeit, wie ich betonen muss. Allein ich fand keinen Anschluss in dieser Stadt, ausserdem war es kalt, pausenlos prasselte der Regen auf das Kopfsteinpflaster und alles schien mir so dunkel. Da beschloss ich eines Tages, nach Santa Lemusa zurückzukehren. Im März 1980, gut vier Jahre nach meiner Ankunft in Frankreich, bestieg ich ein Flugzeug nach Martinique – es war der erste Flug meines Lebens und ich war ziemlich aufgeregt. Aber alles ging glatt. Ich blieb einige Tage in Fort-de-France, um mich an das Klima zu gewöhnen, dann schiffte ich mich nach Santa Lemusa ein».

Die Geburtsstunde der Boutik Cho

In den ersten Jahren arbeitete Suzanne Confiant für ihren Vater. Sie betreute seinen Garten und kümmerte sich um die fachgerechte Verarbeitung der Gewürze. 1981 lernte sie Gilles Montaport kennen, einen Reiseschriftsteller, wie er sich selber nannte, dessen grösstes Talent allerdings darin bestand, der Sohn eines reichen Kaufmanns aus Venezuela zu sein. Die Beziehung dauerte nur drei Jahre, doch gingen drei Töchter aus ihr hervor: Zara, Anna und Ina. «Eines Tages brach Gilles dann zu seiner nächsten Reise auf, wie er es nannte – mit einer jungen Amerikanerin, die er auf Barbados kennen gelernt hatte. Allerdings hinterliess er mir eine anständige Summe. Mit diesem Geld kaufte ich mir erst ein Stück Land unmittelbar neben dem Garten meines Vaters und wenig später dann einen eigenen Laden mitten in der Altstadt von Santa Lemusa.»

Der Garten von Suzanne Confiant liegt am Ufer der Miosa im Osten der Hauptstadt. Er wird von Büschen und Bäumen gesäumt, welche die Pflanzen vor der direkten Sonne schützen.

Das war die Geburtsstunde der Boutik Cho, der heissen oder scharfen Boutique, wie der Laden bis heute genannt wird. Das Geschäft war von Beginn weg ein Erfolg. Teilweise lässt sich dies mit dem guten Ruf der Gewürz-Familie Confiant erklären. Vor allem aber waren es wohl die feine Nase, die Experimentierfreude und die Erfindungsgabe von Suzanne, die den Ruf der Boutik Cho bis weit über die Grenzen der Insel hinaus verbreitet haben. Sie baute neue Sorten, Gewürze und Kräuter an, untersuchte die Auswirkung der Bodenbeschaffenheit auf das Wachstum ihrer Sträucher, die Bedeutung der Wasserqualität, des Windes oder der Pflanzennachbarschaft für den Geschmack und Geruch ihrer Produkte. Auch experimentierte sie mit den verschiedensten Verfahren der Fermentation, des Trocknens oder der Lagerung. Welche Bedeutung der richtige Erntezeitpunkt für Mussagor hat, warum Cherase ein rauhes Klima liebt, wieso man bestimmte Gewürze in der Mittagssonne und andere bei abnehmendem Mond ernten soll – Suzanne Confiant kennt nicht nur Eigenart und Charakter jeder Pflanze, sie weiss auch fast alles über deren Geschichte, Herkunft, Namen sowie die verschiedenen Traditionen der Verwendung in den Kulturen und Küchen der halben Welt.

Mischungen der besonderen Art

Allerdings haben wohl auch die Gewürzmischungen der Königin, der «ren di zépis» wesentlich zum Erfolg der Boutik Cho beigetragen: Ihr legendäres Papuk genauso wie die verschiedenen Colombos und anderen Klassiker oder die experimentelleren Eigenkreationen im Stile von Mischungen wie Marseillaise oder Suzanne No.1. – Suzanne Confiant hätte ihre Boutik längst zu einem Gewürzimperium ausbauen können. Für «laren di zépis» aber kam das nie in Frage: «Ich liebe meinen Beruf, meine Gewürze und meinen kleinen Laden. Aber ich liebe auch die Musik − und wenn ich nicht regelmässig zum Tanzen komme, dann werde ich nicht nur trübselig, nein, mir scheint auch als ginge mir dann der Geruchssinn verloren.» Sie lacht und fügt an: «Ich brauche eben viel Bewegung − wer weiss, vielleicht rieche ich ja mit dem ganzen Körper». Für die Königin der Gewürze sind das jedenfalls Gründe genug, auf Qualität und nicht auf Quantität zu setzen. – Mit einem schnellen Schwung dreht sich Suzanne Confiant um die eigene Achse und verschwindet hinter der Theke ihrer Boutik: Sie legt eine neue Platte auf und da sind sie wieder, die schnellen Läufe der Orgel von Lami Luiss. Auch die zahllosen Gewürze, die hier in den Kompartimenten riesiger Regale schön ordentlich aufgereiht sind, wirken wie eine Tastatur − eine Klaviatur der Gerüche und Geschmäcker, die Suzanne Confiant virtuos beherrscht. So gesehen ist sie vielleicht doch auch eine Königin der Tasten – «bon sang, bon sang, sang mêlé…»

Vor der Boutik Cho türmt sich das nach altem Rezept produzierte Papuk.

Siehe auch

First Publication: 2002

Modifications: 24-2-2009, 19-8-2011