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Diri tou piti

Reistopf mit Hackfleisch

Das nachfolgende Rezept haben wir auf der Karte von Andrée Piès entdeckt, die im Innenhof des Couvent Saint-François in Port-Louis ein kleines Lokal betreibt. Wörtlich bedeutet Diri tou piti soviel wie «Ganz kleiner Reis». Tatsächlich aber ist der Name dieses Gericht eine Ableitung von Dépi tou piti, was «seit meiner Kindheit» heisst. Mit der Erfindung ihres Diri tout piti wollte Andrée Piès einen Geschmack rekonstruieren, der sie seit ihren frühesten Tagen begleitet. Sie spricht von einem «unerhörten kulinarischen Ereignis», das ihr ganzes Leben geprägt habe – räumt aber auch ein, dass ihre Erinnerung an diesen Geschmack «gleichzeitig sehr genau und doch auch sehr unscharf» sei. – Als kleines Kind lebte Andrée einige Zeit im Haus ihrer Grosseltern, die in Gwosgout ein Geschäft für Eisenwaren führten. Da der Handel mit Schrauben, Scharnieren, Schläuchen und Kabeln viel Zeit beanspruchte, war es vor allem ihre Urgrossmutter, Granmatè Berthe, die den Haushalt führte.

Dampfenden Wunderspeise. «Manchmal kochte sie ein namenloses Gericht, dessen schierer Duft mich jeweils in helle Aufregung versetzte. Lange bevor es fertig war, hüpfte ich auf meinen Stuhl an dem grossen, blauen Holztisch, der mitten in der Küche stand. Dort wartete ich ungeduldig während meine Urgrossmutter seelenruhig in den Töpfen rührte. Ich erinnere mich noch, dass ich mich immer wieder fragte, wie sie bei einem solchen Duft ruhig bleiben konnte – wahrscheinlich, so dachte ich damals, war dies das Geheimnis der Erwachsenen, der Grund für ihre Macht. Wenn sie dann endlich den Teller vor mich hinstellte, dann schob ich mir unverzüglich einen riesigen Löffel dieser dampfenden Wunderspeise in den Mund – so viel, dass ich nicht mehr sprechen und kaum noch kauen konnte. Dann war mir, als sickere dieser delikate Brei ganz langsam in mich hinein – und mit ihm ein unglaubliches Glücksgefühl, ein Versprechen, die Versicherung, dass alles immer gut sein würde. – Aber natürlich war das ein falsches Versprechen, denn nach einem Jahr im Haus meiner Grosseltern musste ich zu meinen Eltern zurück – und wenig später starb meine Urgrossmutter.» – Andrée wuchs heran, ging zur Schule, hatte Freundinnen, lernte Männer kennen, machte eine Lehre als Detaillistin und später als Köchin, reiste kreuz und quer durch Südamerika und Europa, heiratete, liess sich wieder scheiden, übernahm schliesslich das Café im Hof des Musée historique und baute es zu einer respektablen Adresse aus – kurz: Es war viel los im Leben von Andrée Piès und sie hatte eigentlich keinen Anlass, alten Zeiten nachzuhängen. «Und dennoch begleitete mich die Erinnerung an den Reis von Granmatè Berthe durch all die Jahre hindurch – ein wenig wie eine Melodie, die sich wieder und wieder auf deine Lippen schleicht.»

Eine ganz fremdartige Erregung. An ihrem vierzigsten Geburtstag beschloss Andrée, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie befragte alle Verwandten, die ihre Urgrossmutter gekannt hatten – doch niemand konnte ihr weiterhelfen. Zwar war Berthe den meisten als eine gute Köchin im Gedächtnis geblieben, vor allem entsann man sich ihres mit allerlei Kräutern in Salz gebackenen Fisches – aber an ein spezielles Reisgericht konnte sich niemand erinnern. – Also begab sich Andrée mit Kochlöffel und Notizblock auf eine «Odyssée durch den weiten Ozean meiner kulinarischen Erinnerungen. Ich kochte wohl an die fünfzig verschiedene Reisgerichte – ohne ein einziges zu finden, das auch nur irgendetwas mit meiner Erinnerung zu tun gehabt hätte. Und dann, an einem regnerischen Tag im Mai, war dieses Gefühl plötzlich wieder da. Schon während des Kochens bemerkte ich eine ganz fremdartige Erregung an mir: Auch bekam ich einen heissen Kopf wie nach einem Tag in den Bergen. Und als die Speise dann fertig war, stopfte ich mir sogleich einen riesigen Löffel davon in den Mund. Mit geschlossenen Augen sass ich in der kleinen Küche meiner Wohnung und spürte, wie der Reis in mich einsickerte und mit ihm jenes Gefühl, dass alles gut sei und immer gut sein werde. – Ob das Gericht wirklich Ähnlichkeiten mit jener wundersamen Speise hatte, die ich damals in der Küche von Granmatè Berthe genoss, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Das Gefühl aber war ganz bestimmt verwandt.» – Also entschloss sich Andrée Piès, den Reis auch auf die Speisekarte des «Pulao» zu setzen – als «eine Art Hommage an meine Urgrossmutter vielleicht oder aus dem Gedanken heraus, dass es auch im Leben meiner Gäste solche Wunderspeisen geben muss.» Vielleicht sind wir, nun da wir die Geschichte dieses Gerichts erfahren haben, ein klein wenig voreingenommen. Auf jeden Fall aber schmeckt Diri tou piti für unseren Gaumen ganz eindeutig nicht ganz erwachsen.

Zutaten (für 2 bis 4 Personen)

1 TL Kreuzkümmel

1 TL Koriandersamen

1 TL Pfeffer

1 kleines Stück Galgant von etwa 15 bis 20 g, geputzt und klein gehackt

1 kleines Stück Ingwer von etwa 15 bis 20 g, geputzt und klein gehackt

1 Stängel Zitronengras, geputzt und möglichst fein gehackt

4 Zehen Knoblauch, geschält und grob gehackt

1 grosse Schalotte oder Zwiebel, geschält und grob gehackt

4 Korianderwuerzelchen, geputzt und fein gehackt

6 kleine, scharfe, grüne Chilis (am besten Vogelaugenchilis)

6 Blätter Kaffernlimette, vom Stil befreit und in haarfeine Streifen geschnitten

2 EL Koriandergruen

2 EL Rapsöl

400 g Rindshackfleisch

2 Zwiebeln

6 dl Hühnerbrühe

300 bis 400 g Wirsing, in feinen Streifen

400 ml Kokosmilch

400 g polierter Langkornreis (Chavala aus Santa Lemusa oder als Ersatz ein indischer Basmati)

Zubereitung

  1. Kreuzkümmel und Koriandersamen in einer Pfanne trocken rösten bis die Schoten platzen und es duftet.
  2. Zusammen mit dem Pfeffer in einem Mörser pulverisieren.
  3. Alle übrigen Gewürze (Galgant, Ingwer, Zitronengras, Knoblauch, Schalotte, Korianderwurzeln, Chilis, Kaffirlimetten-Blätter und Koriandergrün) mit in den Mörser geben und alles zu einer relativ homogenen Masse zerreiben.
  4. Öl in einer Bratpfanne erwärmen, Hackfkleisch und Zwiebel darin gut anbraten.
  5. Die Paste dazu geben und kurz mitbraten. Mit der Hühnerbrühe ablöschen, aufkochen lassen.
  6. Wirsig beigeben, gut umrühren und alles zugedeckt bei kleiner Flamme rund 20 Miunten köcheln lassen.
  7. Kokosnussmilch beigeben und nochmals rund 10 Minuten köcheln lassen bis die Sauce schön eingedickt ist. Mit Salz abschmecken.
  8. Den Reis dämpfen (eine Anleitung dazu findet sich hier), auf Teller häufem, ein kleines Loch hinein drücken, ein römisches vallum fossaque – und das Fleisch als kleines Bergglein drauf setzen.

First Publication: 5-2006

Modifications: 4-3-2009, 20-10-2011