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Jerusalem, Felsendom

Szene 4

Jerusalem war das Zentrum und das Zentrum im Zentrum war der Felsendom – eine goldene Kuppel über einem Stück Stein, von dem die Mohammedaner überzeugt sind, dass ihr Prophet von hier aus in den Himmel zu Allah aufgestiegen sei. Nach dem Talmud wiederum ist der Felsen der Mittelpunkt und zugleich eine Art Grundstein der Welt – hat Gott doch von ihm die Erde genommen, aus der er Adam formte. Adam, Abel, Kain und auch Noah sollen hier Opfer dargebracht haben. Ausserdem nehmen die Juden an, dass Abraham auf diesem Brocken um ein Engelshaar seinen Sohn Isaac geopfert hätte. König Salomon liess hier den Ersten Tempel bauen und nach dessen Zerstörung stand auch der Zweite Tempel an dieser Stelle. Erst als die Juden, lange nach der völligen Schleifung Jerusalems im Jahre 70, allmählich aus dem Exil zurückkehrten, mieden sie die Gegend des Steins – wohl weil sie befürchteten, aus Versehen im Allerheiligsten herum zu trampeln. Stattdessen begannen sie an einer Befestigungsmauer der Tempelanlage zu beten, die heute als Klagemauer das Zentrum ihres religiösen Alltags darstellt. Derweilen sich die Kuppel des Felsendoms, dank des Goldes von Jordaniens König Husain, seit 1993 wie ein gigantischer Basketball im Zentrum von Jerusalem ausnimmt. Vielleicht war Gott ja ein Basketball-Fan - und die ganze Geschichte der Welt nichts mehr als ein einziger Wurf in Richtung Korb. Stellte sich bloss die Frage, in welchem Moment des Ball-Flugs man sich gegenwärtig befand, und ob man wohl auch als Geheimagent das Recht hatte, mit der Welt herumzuspielen – zum Beispiel in einem Gefängnishof in Cartagena.

Was Maille besser gefiel war die muslimisches Vorstellung, dass auch der Felsen mit Mohamed in den Himmel zu Allah habe aufsteigen wollen und sich mit dieser Absicht aufrichtete, vom Fuss des Propheten aber zurück gestossen wurde. Ein Stein, der wie eine Brustwarze erigieren konnte, das passte auch gut ins Zentrum einer Welt, die sich wie ein Busen aus der Weltallsuppe wölbte.