D | E  

Peking, Restaurant von Ren Zilin

Szene 16

«Weiss dein Kopf nicht mehr weiter – dann denk an deinen Bauch»*, so lautete ein Spruch von Lucien Blagbelle, den Maille stets gerne beherzigte. Also liess er sich vom Airport direkt in das Restaurant von Ren Zilin fahren. – Zahlreiche Etablissements in Peking sind entweder pragmatische Imbissstuben oder aber riesige Fresstempel mit grossen, unglaublich gut organisierten Küchen – was der Angewohnheit vieler Chinesen entgegenkommt, in Rudeln essen zu gehen und sich entsprechend viele verschiedene Gerichte auftischen zu lassen. Als Einzel-Gast macht man in diesen Leistungshallen der Gastronomie eine seltsame Figur.

Das Restaurant von Ren Zilin aber war ein eher kleines Lokal mit einem Dutzend Tischen und einem hübschen, abends mit Lampions beleuchteten, etwas schmuddeligen Hof. Schon bei seinem ersten Besuch in Peking vor drei Jahren war Maille durch einen glücklichen Zufall hier gelandet und schon am ersten Abend mit der Wirtin ins Gespräch gekommen.

Wie immer auf Reisen hatte er sich als kulinarischer Inspektor aus Santa Lemusa vorgestellt. Eine Berufsbezeichnung, die verschiedenste Interpretationen zuliess – Maille selbst stellte sich darunter eine Mischung aus einem Restaurantkritiker, einem Hygienebeamten und einem Forschungsreisenden in Sachen Nahrung vor. Die Tarnung war praktisch – und entsprach überdies Mailles heimlicher Wehmut, denn statt einem Verbrecher aus São Paolo auf die Finger zu sehen, hätte er oft lieber einer Poularde aus Bresse die Temperatur genommen. Bei Ren Zilin kreisten die Diskussionen immer ums Essen, um lokale Spezialitäten, um Preise, um Produkte, um die Arbeit am Herd… Und natürlich hatte Maille allerlei Fragen zu den Speisen, die ihm serviert wurden – so viele, dass er manchmal sogar in der Küche landete, wo ihm die Wirtin persönlich den einen oder anderen Kniff vorführte. Schliesslich war man ja nicht umsonst Spion.

Leider hatte er heute keine Zeit, seine Forschungen weiter zu treiben. Die Sache mit dem seltsamen Hinweis von Zhang beschäftigte ihn, der Leerlauf am Flughafen ärgerte ihn – und er wurde das Gefühl nicht los, er habe irgendetwas übersehen. Ausserdem war er ziemlich spät dran, der Ofen war schon aus, die Köche in Feierabendstimmung. Also gab es nur noch kalte Gerichte. Er bestellte sich ein paar marinierte Erdnüsse, den Gurkensalat mit Schweinsohren, einen Rest von rotgeschmorten Kichererbsen und den kalten Braten mit Ren Zilins Spezialsauce, dazu eine Flasche Bier. Er legte die Karte mit den Drachen vor sich auf den Tisch und starrte sie an – in der Hoffnung, sie würde dadurch irgendein Geheimnis preisgeben, ihm irgendwie auf die Sprünge helfen.

* Anmerkung des Herausgebers: Tatsächlich lautet der Spruch des Arztes Lucien Blagbelle etwas anders, nämlich: «Weiss dein Kopf keinen Rat, dann lenke dein Bauch»

Rotgeschmorte Kichererbsen

Menu Maille

Im Verlauf dieses Menus fand Hektor Maille heraus, warum die Spur des Drachens bisher zu keinem Ergebnis geführt hatte: