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Sydney, Fischmarkt

Szene 2

«Warum wie Herakles?», brüllte Maille ins Telephon und drückte sich zugleich das linke Ohr zu, um Marie besser zu verstehen. Der Lärm war beträchtlich in der grossen Halle des Fischmarktes von Sydney, wo sich Hunderte von Restaurateuren ihre Gelbflossenthunfische ersteigerten, wo Detaillisten für Barramundis oder Meerbrassen um die Wette boten, Hummer und Garnelen, schwarzlippige Seeohren und rötlich schimmernde Felsenaustern kistenweise hin und her gekarrt wurden.

Maille hätte sich ein paar Tage Zeit in dieser Stadt gewünscht. Die Menschen in Sydney wirkten sportlich entspannt – als wäre das Leben ein grosser Ski-Urlaub. Die Hochhäuser glitzerten freundlich in der Sonne, Flughunde besetzten in Rudeln die Parks, adrett herausgeputzte Hafenzonen hörten auf so eindrückliche Namen wie Woolloomooloo – und vor allem gab es Restaurants aus aller Welt, die von Sashimi bis Suwlaki, von der schottischen Hochland-Fleischpastete bis zum taiwanesischen Sojakuchen, vom malaysischen Rendang bis zum tibetanischen Momo alles anzubieten schienen, was es an kulinarischen Eigenwilligkeiten gab. Wie gerne hätte Maille ausgiebig recherchiert, was die Küchenmeister aus Japan oder die Gassenköche aus Singapur mit dem Fisch anzufangen wussten, der den Markt hier in Massen verliess.

Doch schon hatte ihn seine Mission wieder fest im Griff, wurde er in seiner Geschichte weiter geschleudert.

«Warum wie Herakles?», fragte er nochmals und versuchte, Marie dabei nicht anzuschreien. Schliesslich sass die erste Sekretärin des lemusischen Geheimdienstes wohl gerade ganz entspannt hinter ihrem Schreibtisch an der Rue de Prague, streckte vielleicht sogar die Füsse aus dem Fenster, spreizte die Zehen den Sonnenstrahlen entgegen, die sich durch die Äste der grossen Bäume im Parc des Anglaises einen Weg zu ihrem Bürofenster brachen.
«Auch Herakles hatte doch zwölf Aufgaben zu erledigen, für irgendeinen König soviel ich weiss.»
«Für seinen Bruder Eurystheus», präzisierte Maille und schämte sich sogleich ein wenig, weshalb ihm die nächste Frage etwas ruppig geriet: «Wer kam denn auf diese Scheissidee?». Marie war nicht die Art von Frau, die sich durch Grobheiten aus dem Konzept bringen liess: «Ich habe meine Anweisungen von Mercier. Aber soviel ich weiss, hat unser Präsident mit Hing Verhandlungen aufgenommen – über einen Mittelsmann oder vielmehr eine Frau namens Lara. Es ging um die 50 Millionen, vor allem aber auch um das Rezept für Tomatensauce mit Broccoli – du weisst schon, das von, respektive auf der Freundin. Doch da blieb Godet hart. Also hat Hing als Zeichen des Entgegenkommens verlangt, dass du in Australien zwölf Arbeiten bewältigst.»
«Ist das nicht völlig absurd?»
«Ich glaube das ist etwas Symbolisches. Es hat mit den zwölf Tierkreiszeichen zu tun. Hing hat ja einen chinesischen Hintergrund.»
«Und was sagt Mercier dazu?»
«Mercier? Mercier macht Urlaub – in Schweden.»
«In Schweden?»
«Er angelt. Du wirst deine Anweisungen von V-Mann Aral bekommen. Er wird sie für dich deponieren.»
«Spielt unser lieber Aral etwa ein doppeltes Spiel?»
«Hör mal, er ist V-Mann. Der muss sich nach allen Seiten hin umstülpen können.»