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Tod eines Turnschuhs

Kann ein Turnschuh sterben? Gewöhnlich würde man sagen: Schuhe gehen kaputt, und zwar meistens beide in etwa zur gleichen Zeit. Doch wenn man aus Versehen mit einem Fuss im Uferschlamm des Toten Meeres eingesunken ist, dann wird man hernach Zeuge, wie so ein Schuh ganz langsam zugrunde geht. Man kann ihn noch so sorgsam reinigen und spülen, eincremen und fetten, irgendetwas bringt den Schuh von innen her um: Täglich wird er härter und enger, bäumt sich das Leder gegen die Form auf, in der sich die Füsse noch wohl fühlen. Die Situation bekommt eine dramatische Note weil sich der andere Turnschuh, der nicht im Toten Meer baden war, nach wie vor weich und geschmeidig anfühlt. Tag um Tag erscheinen die zwei Schuhe mehr und mehr wie ein Paar, dessen eine Hälfte stirbt – derweilen die andere voller Lebenshunger und Tatendrang steckt.

Die Dinge liegen auf der brutalen Seite – denn, was soll man mit einem Schuh allein? Bei Socken kann man ja, gewissermassen unter dem Deckmantel des Schuhwerks, gesunde Exemplare zu neuen Beziehungen anstiften – aber bei Schuhen?

Als Besitzer fühlt man sich auf eigentümliche Weise verantwortlich – weniger für den sterbenden Schuh als für den quicklebendigen. Aber wenn man den einen aufgibt, dann reisst dies auch den anderen ins Verderben. Das erinnert an Kulturen, die topfitte Ehefrauen zusammen mit ihren mausetoten Männern die Reise ins Jenseits antreten lassen. Ein barbarischer Akt. Man beginnt den halbtoten Schuh zu hassen weil er einen zu unmenschlichen Handlungen antreibt. Das vom Salz verformte Leder erscheint plötzlich wie ein feindliches Element, das sich gegen uns richtet – wobei dieses "uns" durchaus auch den gesunden Schuh miteinschliesst. Wir fühlen uns, als hätten wir einen Pflegefall an den Füssen, der uns das Leben auf Schritt und Tritt schwer macht – zumal sich die Dekadenz des Schuhs mit der Zeit auch auf den betroffenen Fuss überträgt, dessen Zehen wie in einem Schraubstock zusammengedrückt, von den fiesen Verbiegungen des Leder verkrümmt werden und schliesslich sogar anschwellen. Das Elend schafft irgendwann auch ein Ungleichgewicht zwischen unseren Füssen – und plötzlich sind wir gar nicht mehr sicher, ob denn wirklich der Schuh der Anfang vom Übel war, und nicht vielleicht eher der Fuss.

Siehe auch

First Publication: 8-1-2012

Modifications: 22-6-2013