Suppe aus Roter Bete mit diversen Gemüsen und Kwas – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 150311 Kyiv Friendship of Nations Arch
Die ganze Welt hält Borschtsch für eine typische Suppe der russischen Küche. Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Köchen bevölkertes Land hört nicht auf, sich gegen diese Sicht der Dinge zu wehren: die Ukraine. Das grösste Land Europas beansprucht die Erfindung der Suppe für sich – und hat sie längst zu ihrem Nationalgericht erhoben. Viele Autoren teilen diese Ansicht. «Der deftige Eintopf ist so ukrainisch und so alt wie die Kiewer Rus selbst», schreibt etwa Marion Trutter («Culinaria Russia», S. 144): «Seinen Namen erhielt er vom altslawischen Wort brsch für Rote Bete. Ursprünglich hat man das Gericht allerdings aus Wildpflanzen gekocht oder auch aus Hafer, erst später wurde die Rote Bete zur Seele des Borschtsch.» Bei Alan Davidson («Oxford Companion to Food», Kapitel Borshch) kommen quasi wissenschaftliche Methoden zum Einsatz. Wenn Naturwissenschaftler den Ursprungsort einer bestimmten Pflanzenspezies bestimmen wollen, dann suchen sie nach der Region, wo es die meisten natürlichen Variationen der Pflanze gibt. Sucht man mit derselben Methode nach dem Ursprungsland der Borschtsch, so kommt man zwangsläufig auf die Ukraine: «There are more kinds of borshch in the Ukraine than anywhere else; these include the versions of Kiev, Poltava, Odessa, and L’vov.»
«The New Ukrainian Cookbook» von Annette Ogrodnik Corona ist das feinste Ukraine-Kochbuch in einer für uns verständlichen Sprache, das wir gefunden haben. Die Gestaltung ist einfach und Bilder gibt es kaum, aber die Einführungen und Rezepte sind recht sorgfältig geschrieben und wirken gut recherchiert. «Borschtsch ist die Quintessenz der Ukraine», schreibt sie: «Die Suppe spiegelt besser als jedes andere traditionelle Gericht den Charakter der ukrainischen Nation und bis zu einem gewissen Grad auch ihre ethnische Geschichte. Für viele Ukrainer stellt Borschtsch das Grundnahrungsmittel dar und das wichtigste Gericht auf ihrem täglichen Speiseplan.» Eine ukrainischen Sprichwort zufolge soll es so viele Variationen von Borschtsch geben wie ukrainische Köche. Fast all diese Suppen haben indes gemein, dass sie in der einen oder anderen Form Rote Bete enthalten (eine Ausnahme stellt Zelenyi Borsch dar, die auf der Basis von Sauerampfer hergestellt wird). Und fast immer wird die Rote Bete getrennt von den anderen Gemüsesorten gekocht oder geschmort – so auch im Restaurant «Veselka» in New York, das nach eigener Aussage 20'000 Liter Borschtsch pro Jahr serviert (nachzulesen in dem lustigen Kochbuch des berühmten Hauses).
Fleisch, hauptsächlich vom Schwein, spielt eine zentrale Rolle in der Borschtsch und kommt in geräucherter, gepökelter oder roher Form hinein. Es gibt aber auch Varianten mit Rind, Huhn, Ente, Fisch und Meeresfrüchten. Manchmal wird das Fleisch dann als separate Speise serviert, manchmal aber auch mit der Suppe aufgetischt. Vegetarische Varianten sind vor allem während der Fastenzeit beliebt – und in den Karpaten spielen Pilze oft eine wichtige Rolle. Eine Borschtsch kann nahezu jedes Gemüse enthalten, das auf ukrainischem Boden wächst: Zu den Roten Beten gesellen sich oft Karotten, Weisskohl, Kartoffeln, Bohnen aller Art, Paprika und Tomaten. Manchmal aber finden sich auch Sellerie, Fenchel, Apfel, Aubergine etc. In der Regel wird Borschtsch heiss serviert, gerade im Sommer sind aber auch eisgekühlte Varianten populär.
In vielen Rezepten wird der Suppe kurz vor dem Essen noch etwas beigemischt – auch da gibt es zahllose Varianten. Manche Ukrainer fügen laut Corona zum Schluss eine Paste namens Zapravka oder Zatovka zu, die aus Knoblauch und gesalzenem Bauchspeck hergestellt wird. Andere Regionen heben eine Paste aus Hirse und Weizen unter. Besonders populär ist indes die grosszügige Zugabe von Dill und saurer Sahne, die auf Ukrainisch ähnlich klingt wie der Name des Komponisten der «Moldau»: Smetana.
Laut Corona schwören Traditionalisten und «old country cooks» darauf, die Suppe ausschliesslich mit Kwas von Roter Bete (seltener von Roggen) zu säuern. Gemeint ist der Saft, der beim Fermentieren von Roter Bete (oder Roggen) entsteht. Viele Ukrainer stellen Kwas selbst zu Hause her (Rezept) – Westeuropäer kommen gar nicht darum herum, es ihnen nachzutun, denn fermentierte Bete wird im Westen kaum angeboten.
Die meisten Rezepte verlangen zwar nach längeren Kochzeiten, sind aber im Grunde doch ziemlich einfach. Dass etwas schweif geht, wie in dem berühmten Gedicht «Wie wäre es mit einem Borschtsch?» von Mascha Kaléko (1907-1975) ist eher unwahrscheinlich: «Man nehme erstens zirka sieben / Fein abgeschälte rote Rüben. / Dann hacke man den Weisskohl klein, / Tu Zwiebel, Salz und Essig rein. / Mit Hammelfleisch muss das nun kochen, / Auf kleiner Flamme, sieben Wochen. / Jetzt Kaviar mit Wodka ran / Nebst Zimt und frischem Thymian. / Nun schüttet man das Ganze aus / Und isst am besten – ausser Haus.»
Wir geben hier ein Rezept für eine gänzlich vegetarische Borschtsch mit Kwas wieder, wie wir sie im Café «Cupol» neben dem Eingang zum Kyevo-Pecherska Lavra gegessen haben – hungrig vom Besuch in diesem riesigen Klosterbezirk mit seinen zahllosen Kirchen und labyrinthischen Höhlen. Oft liest man, eine Borschtsch müsse mindestens 20 Zutaten enthalten und so dick sein, dass der Löffel im Teller von alleine steht. Unsere Suppe erfüllt diese Kriterien nicht – eignet sich aber im Gegensatz als leichte Vorspeise oder wärmende Stärkung zwischendurch. Das Rezept ist einfach, sieht jedoch eine mehrtägige Fermentationszeit für den Kwas und eine längere Kochzeit für das «Randen-Wasser» vor. Wir kochen die Borschtsch hier nur mit ein paar wenigen Gemüsen – je nach Lust und Saison wird man weitere oder andere Gemüse zufügen wollen (Stangensellerie, weisse Rüben, Kohlrabi, Pastinaken, Petersilienwurzel, Bohnen…) Tiefe bekommt die Suppe vor allem vom Kwas. Wer kein Kwas herstellen möchte, kann der Borschtsch auch etwas Sauerkrautsaft beigeben.
Das Ergebnis ist eine Suppe, die süsslich und fleischig duftet, ein wenig wie eine Zwetschgentorte in der Sonne. Sie schmeckt erdig und etwas herb, leicht säuerlich, fruchtig und fröhlich – man denkt an Lagerfeuer, an Pflanzen unter Schnee, an Winterlicht. Aber da ist auch eine exotische Wärme, ein Versprechen, ein Loch in den Sommer.
Auch Borschtsch wird besser, wenn sie vor dem Essen wenigstens ein bis zwei Tage durchziehen kann.
(Fermentationszeit Kwas 4 bis 5 Tage)
Kochzeit 100 Minuten
1 kg Rote Beete
2 EL Weissweinessig
10 Körner Piment
20 Körner Schwarzer Pfeffer
1 TL Salz
1 EL Butter
2 Zwiebeln (je 100 g), fein gehackt
4 Zehen Knoblauch, fein gehackt
1 TL Salz
1½ L kräftige Gemüsebrühe
1 EL Weissweinessig
300 g Karotte, geschält, in 6 mm dicken, 4 cm langen Stäbchen
300 g festkochende Kartoffel, geschält, in 1 cm dicken, 4 cm langen Stücken
250 g Sellerie (Knolle), geschält (200 g), in 6 mm dicken, 4 cm langen Stäbchen
250 g Weisskohl, in 2 mm dicken, 6 cm langen Streifen
1 kleiner Fenchel (200 g) in 1 cm dicken, 5 cm langen Streifen
2 EL Tomatenpüree
2 dl Kwas
Salz zum Abschmecken
1 Sträusslein Dill, nicht zu fein gehackt
1 Becher saure Sahne
Wenn möglich sollte man die Suppe vor dem Essen einige Stunden stehen lassen. Noch besser schmeckt sie nach zwei oder drei Tagen. Allenfalls muss man beim Aufwärmen etwas Flüssigkeit zugeben, man kann die Suppe dann auch erneut mit Kwas abschmecken.
First Publication: 17-3-2015
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