D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Wahrscheinlich nehmen wir meistens viel mehr wahr als wir auch erkennen – nur in welchen Archiven legen wir diese Erfahrungen ab? Blick aus dem Fenster eines Büros an der Falkenstrasse. (Mittwoch, 15. Januar 2014)

42. Flasche

Wahrnehmen – aber nicht erkennen

Valais Pinot noir Bonvin Terra Cotta 2010

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach gebackenen Kirschen – doch steht auch ein noch leeres Vol-au-Vent da, Blätterteig frisch aus dem Ofen. In der dunklen Tiefe des Aromas öffnet ein Jasminstrauch die eine oder andere Blüte, eine reife Himbeere macht der Kirsche Konkurrenz. Über alledem aber schwebt auch ein frischer Hauch, der aus einem entfernten Badezimmer herüberweht, in dem blumige Seifen schäumen.

Im Mund ist der Wein eher etwas bitter und komplex, mit wenig Säure und kaum Tannin. Von innen übernimmt eine sehr reife Pflaume mit dunklem Fruchtfleisch das Zepter. Es machen sich Düfte bemerkbar, wie sie ein nur noch schwach glimmendes Kaminfeuer in die Luft abgibt. Dann und wann tropft etwas Wasser in die Asche. Doch der Wein lässt mir auch immer wieder Himbeeren und reife Walderdbeeren durch den Mund kullern. Dieser Pinot noir ist sehr lebendig und präsent – ja mit der Zeit wirkt er fast etwas ölig.

Dass Supermärkte den ganzen Tag lang Backautomaten in Betrieb halten, um ihren Kunden die Fresslust einzutreiben, ist hinlänglich bekannt. Auch die Manipulationen durch frisch gerösteten Kaffee, gegrilltes Fleisch oder das Luft-Design besserer Hotels ist kaum zu überriechen. Heute aber habe ich gelernt, dass ich auch durch Düfte manipuliert werde, die ich gar nicht bewusst wahrnehme. Luft-Designer setzen Parfums oft so sparsam ein, dass nur die «Wahrnehmungsschwelle» des Kunden erreicht wird – das heisst, er ist sich gar nicht bewusst, dass da ein bestimmter Duft in der Luft liegt und seine Entscheidungen beeinflusst. Erst bei deutlich höheren Dosen werden die «Erkennungsschwelle» und schliesslich die «Unterschiedsschwelle» erreicht. Dass die Kauflust der Kunden so angeheizt wird, ist eine fiese Manipulation – fast hat man Lust, nur noch mit heftig stinkenden Socken einkaufen zu gehen oder stets einen wuchtigen Münsterkäse mit sich auszuführen. Doch davon soll hier nicht die Rede sein. Im Moment interessiert es mich mehr, dass es wohl auch in einem Wein sehr viel Odeurs gibt, die über der «Wahrnehmungsschwelle» – aber unter der «Erkennungsschwelle» angesiedelt sind. Das würde bedeuten, dass man bei einer Verkostung nicht nur die Dinge registrieren müsste, die man riecht oder schmeckt, sondern auch die emotionalen Reaktionen und alle Assoziationen, die der Wein vielleicht mit Düften provoziert, deren Geringheit uns ein Erkennen nicht gestattet.

Bei diesem Wein kommen mir spontan eine Metzgerei in den Sinn und ein Hotelzimmer mit einer altmodischen Einrichtung – und das sind Bilder, die haben nichts mit den rauchigen Ofenaromen und dunklen Früchten zu tun, die ich in dem Pinot noir wahrgenommen habe. Im Abgang rutscht der Wein königlich davon.

Getrunken am Mittwoch, 15. Januar 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Flaschenpost» (Fr. 20.90 im November 2013).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir Bonvin Les Domaines Terra Cotta

AOC, 2010, 13.2% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von Charles Bonvins SA in Sion (auf Karte anzeigen). 2011 erhielt der Wein eine Goldmedaille «Grand Prix du Vin Suisse».

First Publication: 20-1-2014

Modifications: