Unter der Anleitung von Ninu Kabho, einem aus der Schweiz angereisten Theoretiker, bauen die Bauern und Arbeiter ein Art Rätesystem auf.
Im Sommer 1902 wird die Räterepublik aufgelöst und die Vierte Republik ausgerufen – eine Präsidialrepublik, an deren grundsätzlicher Organisation sich bis heute nicht viel geändert hat. Der erste Präsident ist Emile Cherbuin, ein Sozialdemokrat und ehemaliger Bankier, dessen Familie Ende des 18. Jahrhunderts aus Paris nach Santa Lemusa gezogen ist. 1902 wird der Name der Hauptstadt Port Saint-Louis wieder auf Port-Louis umgeschrieben (mehr zu den Namen der Hauptstadt).
Nach dem Vorbild der von Bismarck für das Deutsche Kaiserreich erlassenen Sozialgesetze verabschiedet die Nationalversammlung ein Gesetz zur Regelung der Krankenversicherung der Arbeiter. Die Beiträge werden von den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern gemeinsam aufgebracht und in eine Kasse (Caisse maladie) einbezahlt. Die Leistungen bestehen in freier ärztlicher Behandlung und einem Krankengeld, das maximal sechs Monate lang ausbezahlt wird. In den nächsten Jahren folgen Gesetze zur Unfall-, Invaliden- und Alterversorgung.
Die sozialdemokratische Frauenbewegung setzt das allgemeine Frauenwahlrecht durch. Damit gehört Santa Lemusa zu den wenigen Staaten, in denen die Frauen schon vor dem Ersten Weltkrieg wählen dürfen.
Nach einem Zwischenall, in dessen Verlauf junge Jäger mit Pferden einen Bären in den Strassen von Port-Louis zu Tode hetzten, wird ein neues Jagdgesetz eingeführt, das die Jagdarten für die verschiedenen Regionen der Insel definiert und erstmals die Hege des Wildes und seiner Umwelt zur obersten Pflicht des Jägers erhebt. Den Jagdgesellschaften (wie etwa der Société de Chasse Léopold), die bisher vor allem Treibjagden organisierten, fallen damit neue Aufgaben zu. Die Jagdgesetze von Santa Lemusa sollen unter anderem das Vorbild für die Jagdgesetze gewesen sein, die der Jurist und Jäger Georg Mardersteig 1932 für Deutschland entwarf.
Als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg begründet Santa Lemusa eine Miliz-Armee, die den Alliierten Streitkräften beistehen soll. Es kommt jedoch zu keinem Einsatz der Truppen.
Nach einer kurzen aber heftigen Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation beschliesst die Nationalversammlung die Einführung des (neuen) Franc.
Während des Zweiten Weltkriegs gelangen rund 800 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland nach Santa Lemusa – viele von ihnen lassen sich in Gwosgout nieder. Auf der Insel gibt es bereits seit den 1650er Jahren eine jüdische Gemeinde.
Vier Offiziere der Gendarmerie von Santa Lemusa melden sich freiwillig zum Caribbean Regiment, das gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aufgestellt wird und in Ägypten kämpft. Diese Sondereinheit der britischen Armee rekrutiert Soldaten vor allem auf Barbados, Grenada, St. Lucia und St. Vincent.
Als Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses legt das Parlament von Santa Lemusa dem Volk eine neue Verfassung zur Abstimmung vor. Sie wird mit grosser Mehrheit angenommen. Gleichzeitig erhält die Hauptstadt Port-Louis neu den Namen Ville de Santa Lemusa (mehr zu den Namen der Hauptstadt).
Mit Henriette Beauvoir (PS – siehe Parteien) wird erstmals eine Frau als Präsidentin von Santa Lemusa gewählt. Sie tritt entschieden für eine soziale Politik ein und gerät dabei immer wieder in Konflikt mit stärker wirtschaftlich orientierten Kreisen. Noch im Jahr ihres Amtsantritts veranlasst sie den Bau eines grossen Stausees am Mont Majorin (siehe Lac Beauvoir & La Chaise-Roi). Die zweite Hälfte ihrer Regierungszeit (ab 1969) wird von der heftigen und nicht immer ganz fairen Auseinandersetzung um die Gründung einer nationalen Fluggesellschaft überschattet. Beauvoir, die sich unter anderem aus Gründen des Naturschutzes vehement gegen den Bau eines Flughafens einsetzt, wird im Rahmen einer veritablen Schlammschacht arg diffamiert – und vermutlich vor allem deshalb 1972 nicht wiedergewählt.
Der grosse Zyklon «Ines» richtet erhebliche Schäden auf der Insel an – vor allem an der Ostküste.
Die Caribbean Free Trade Area (CARIFTA) wird als Freihandelszone karibischer Inselstatten gegründet.
Im Frühling wird das grosse Wasserkraftwerk südwestlich des Mont Majorin in Betrieb genommen. Der Stausee heisst Barrage Henriette Beauvoir - nach der damaligen Präsidentin, die den Bau des Kraftwerks in ihrem ersten Amtsjahr veranlasst hatte. Das Kraftwerk ist bis heute die wichtigste Stromquelle der Insel.
Hector Sumas, der als Präsident des Mouvement démocrate lemusien (MoDeL – siehe Parteien) wesentlich zum unschönen Niedergang von Präsidentin Henriette Beauvoir beigetragen hat, tritt 1972 auch ihre Nachfolge an. Sumas steht für eine radikal wirtschaftsfreundliche Politik ein. Auch macht er sich für die Gründung einer lemusischen Streitmacht stark – scheitert jedoch am heftigen Widerstand der Linksparteien. Er engagiert sich für den Ausbau des lemusischen Geheimdienstes und setzt eine erhebliche Aufstockung des Budgets für das Polizeicorps der Insel durch.
Die CARIFTA erweitert sich zum gemeinsamen karibischen Markt CARICOM (Caribbean Common Market).
Nach langen Verhandlungen kommt es zur Gründung einer nationalen Fluggesellschaft mit dem Namen «Lemusair».
In der 1975 unterzeichneten Konvention von Lomé (Togo) vereinbaren karibische, pazifische und afrikanische Staaten vorteilhafte Bedingungen des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft als deren assoziierte Mitglieder.
Zur Überraschung aller Experten geht Simon Camelinat von der PCL (siehe Parteien) als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervor. Simon Camelinat ist ein beliebter Chansonier – hat sich jedoch politisch bisher kaum hervorgetan. Er erhält den Übernamen «Presidan misicien» («Musikerpräsident»).
Der Hurrikan Allan richtet auf seinem Zug durch die Karibik auch auf Santa Lemusa schwere Schäden an. Simon Camelinat gibt auf der ganzen Insel Benefizkonzerte – was ihm ebenso die Sympathie der einen wie den Spott der anderen einträgt (und den Spitznamen «Gouverneur guitarre»)
Die Zeitung «Glas» deckt auf, dass Ingenieure im geheimen Auftrag einer Gruppe von ehemaligen Parlamentariern rund um Hector Sumas seit 1975 an der Entwicklung eines bewaffneten U-Bootes arbeiten. Im Verlauf des Skandals kommt heraus, dass auch Staatspräsident Simon Camelinat informiert war. Unter dem Druck der Mehrheit des Parlaments und der alarmierten Öffentlichkeit tritt Camelinat zurück. Das Lied «Yellow Submarine» der Beatles, das auch Camelinat gelegentlich gesungen hat, wird zu einer Art Schlager des Skandals – weshalb die Affäre auch als sogenannter «Yellow Submarine»-Skandal in die Geschichte eingeht.
Im Alter von mehr als achtzig Jahren wird Valéry Morin, der Gründer und Vorsitzende des eher rechtsgerichteten MRL (siehe Parteien), zum Präsidenten von Santa Lemusa gewählt.
Der Streit um die zukünftige Währung der Insel führt zu einer Regierungskrise. Ein Teil des Parlaments will den East Caribbean States beitreten, einer Organisation mit Zentralbank und gemeinsamer Währung (East Caribbean Dollar EC). Eine andere Fraktion tritt ebenso vehement für die Währungs-Unabhängigkeit der Insel und den 1923 eingeführten Franc ein. Auch Präsident Valéry Morin setzt sich in Opposition zu seiner eigenen Partei für den Anschluss von Santa Lemusa an die East Caribbean States ein – als Folge davon wird er von den Mitgliedern seiner Partei zum Rückzug aus dem Präsidentenamt gezwungen. Im Parlament setzen sich die Anhänger des Franc durch. Für Santa Lemusa bedeutet das mehr als nur einen Währungs-Entscheid - der Sonderkurs als Insel zwischen der Karibik und dem atlantischen Ozean ist damit vorgespurt.
Auch mit Unterstützung der eher rechtsgerichteten MRL (siehe Parteien) wird der MoDeL-Kandidat Xavier Tisuis zum Präsidenten von Santa Lemusa gewählt – Tisuis gilt als getreuer Anhänger des ehemaligen Präsidenten und Parteivorsitzenden Hector Sumas. Tisuis stark rechtskonservative Politik führt indes schon kurz nach der Wahl zu einer parteiinternen Krise und zum Zerwürfnis mit dem noch jungen Parteivorsitzenden Lucien Trebeau. Noch 1982 treten Tisuis und einige Gefolgsleute deshalb aus MoDeL aus und gründen die Parti Terroir & Travail (PTT). Tisuis extremistische Politik stürzt die Regierung von Santa Lemusa in eine schwere Krise – im Mai 1983 stellt sich die Nationalversammlung geschlossen gegen ihn und zwingt ihn (durch einen sogenannten «Rücktrittsaufruf») und nach einer Reihe von absurden Debatten schliesslich (im September desselben Jahres) zum Rücktritt. Infolge des von Tisuis auch auf der Ebene der Verwaltung angerichteten Durcheinanders kommt die Organisation von Neuwahlen nur schleppend voran – erst im Mai 1984 können die Bewohner der Insel zur Urne schreiten. Interimistisch werden die Aufgaben des Präsidenten vom Regierungschef übernommen.
Die ehemalige Tänzerin und Sozialpsychologin Clelia Robin (PS) wird mit grossem Mehr zur Präsidentin von Santa Lemusa gewählt.
Am Wochenende vom 25./26. November 1989 stimmen die Bürgerinnen und Bürger von Santa Lemusa über eine im Herbst 1986 eingereichte direkte Volksinitiative ab, welche die Abschaffung der Armee von Santa Lemusa verlangt. Bei einer hohen Stimmbeteiligung von knapp siebzig Prozent sprechen sich nur 35,6 % der Abstimmenden für den Erhalt der Armee und gegen die Initiative aus. Die Armee wird noch 1989 aufgelöst. Im Gegenzug werden Gendarmerie und Polizei in den folgenden Jahren ausgebaut – dies als Resultat einer breit abgestützten direkten parlamentarischen Initiative. Dabei wird der Auftrag der Beamten neu formuliert. Es wird definiert, was innere und was äussere Sicherheit bedeutet, welche Rolle die Beamten bei deren Erhaltung spielen und welche parlamentarischen Kontrollinstrumente es gibt. Es gilt als das besondere Verdienst von Staatspräsidentin Clelia Robin, dass auch die Ausbildung der Beamten revidiert wird. Nebst klassischen polizeilichen Techniken werden nun auch verstärkt psychologische Fertigkeiten trainiert. Ausserdem erhalten die Beamten eine ethisch-philosophische und eine künstlerische Schulung. Letzteres soll den Polizisten ein «Gefühl für die Relativität des Gesetzes geben» (Robin) und sie «dafür sensibilisieren, dass Recht und Unrecht, richtig und falsch, Ordnung und ihr Gegenteil keine absoluten Setzungen sind, sondern nur Leitlinien, denen entlang ein jeder seinen eigenen Verantwortungen und Emotionen entsprechend handeln muss.»
Auch Santa Lemusa feiert die Entdeckung der Neuen Welt durch Kolumbus – gleichzeitig gedenkt man der Folgen der europäischen Eroberungen für die Indianer und die aus Afrika verschleppten Sklaven.
Auf seinem Zug durch die Karibik richtet der Hurrikan Debbie auch auf Santa Lemusa einigen Schaden an.
1990 wird der Wirtschaftstheoretiker und Anwalt Oskar Klipfel (LiLi – siehe Parteien) neuer Präsident von Santa Lemusa. Er verfolgt einen explizit marktwirtschaftlich orientierten Kurs. 1994 rollt er die Debatte um den lemusischen Franc wieder auf. 1995 setzt er sich im Rahmen einer grösseren Kampagne dafür ein, dass Santa Lemusa der Association of Caribbean States (ACS) beitritt. Die Sozialisten und das Mouvement démocrate lemusien (MoDeL) unter Lucien Trebeau aber sind dagegen. Es kommt zu einem historischen Wortgefecht zwischen Klipfel und Trebeau, das der charismatische Trebeau für sich entscheiden kann.
Im Jahr nach der Debatte um die ACS wird Lucien Trebeau (MoDeL – siehe Parteien) mit grossem Mehr zum Präsidenten von Santa Lemusa gewählt.
Im Januar 1998 besucht Papst Johannes Paul II die Insel. Er wird von Lucien Trebeau empfangen.
1999 arbeitet Lucien Trebeau eine sanfte Revision der Verfassung von 1965 aus, die vom Volk gutgeheissen wird. Gleichzeitig gibt er bekannt, dass sich Santa Lemusa um die Aufnahme in die Europäische Union bewerben werde.
Die nationale Fluggesellschaft «Lemusair» gerät so tief in den roten Zahlen, dass der Betrieb vorübergehend eingestellt werden muss.
First Publication: 4-2007
Modifications: 21-2-2009, 30-9-2011