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Büro an der Falkenstrasse in Zürich. (Donnerstag, 18. Juli 2013)

3. Flasche

Kirschen aus der Nierenschale

Barbera d'Alba Paolo Conterno Bricco 2011

Von aussen duftet der Wein verhalten süsslich nach nicht ganz reifen, dunklen Brombeeren, nach aufgerautem Leder und nach Pfeifenrauch, der in der Luft nachhängt – und zwar an einem Ort, wo gewohnheitsmässig gepafft wird. Der Rauch im Arbeitszimmer unseres Vaters. Dabei trinken wir diesen Wein heute auf die Gesundheit unserer Mutter, die nach einer siebenstündigen Operation auf der Intensivstation liegt. Wir suchen etwas von ihr in diesem Duft, in dem jetzt rote Kirschen das Zepter führen – wir finden einen Hauch von frisch von der Sonne verbrannter Haut und etwas von Dachboden im Sommer. Das Sonnenverbrannte passt. Meine Mutter gehört zu einer Generation, die noch keine Angst vor der Sonne hat, die sich genüsslich von ihr röten und bräunen lässt – früher zumindest.

Im Mund fühlt sich der Wein leicht sauer und kompakt an, etwas bitter auch, kaum adstringierend. Jetzt nimmt die Nase eine Idee von frisch aufgeschäumter Seife wahr. Wahrscheinlich riecht es auch auf der Intensivstation frisch – wenn auch wohl nicht nach Seife. Ob sie es wahrnimmt, ob ihre Nase überhaupt etwas riecht? Vielleicht denkt sie an angenehmere Situationen in ihrem Leben zurück – vielleicht an ein Picknick am Strand. Ob sie Angst hat, ob alles nur fürchterlich ist, der Mund ganz trocken, die Augen verklebt? Oder spürt sie, dass der Moment trotzdem wertvoll ist, so wertvolle wie jeder andere Moment – und also auch schön? Wenn man die Schönheit nicht auf der Intensivstation findet, wo will man dann nach ihr suchen?

Eine kleine Fruchtfliege hat sich in unser Glas verirrt und zappelt auf der Oberfläche herum, dabei schlägt sie mit dem Flügeln als sei der Wein aus Luft. Wir befreien sie und jetzt trippelt sie nervös über unseren Finger, dann durch die Haare auf unserem Unterarm. Hoffen wir, dass ihre Flügel wieder trocken werden – und auch, dass sie uns dann nicht betrunken ins Auge geht. Von innen riecht der Wein nach schwarzen Kirschen, die man aus einem Metallgefäss isst – mit der Zeit weicht die Nierenschale, werden die Kirschen reifer, kommt eine Note von gedörrter Zwetsche dazu. Wenigstens ist sie in guten Händen, darauf vertrauen wir. Und wir selbst – in wessen Händen sind wir? In unseren eigenen, so stellen wir uns das vor – aber ist man je ganz in den eigenen Händen? Die Zeit hat den Wein süss gemacht – auch im Nachklang zieht er uns reife Früchte durch den Mund. Die Fliege ist wieder im Wein gelandet – das scheint ihr Schicksal zu sein, oder ihre Wahl.

Getrunken am Donnerstag, 18. Juli 2013 auf dem Dach meines Wohnhauses über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Baur au Lac Vins» in Zürich (Fr. 17.00 im Juli 2013).

Nächste Flasche

Barbera d'Alba Paolo Conterno Bricco

DOC, 2011, 14.5% Vol.

100% Barbera

Rotwein aus dem Piemont (Italien), produziert von Paolo Conterno in Monforte d'Alba (auf Karte anzeigen).

First Publication: 18-7-2013

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