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In seiner 4. «WoZ»-Kolumne vom 22. Mai 2003 erklärt José Maria, warum Raucher nur sehr selten ins Museum gehen. Und er findet eine neue Aufgabe für die Kunst, denn ein Kaugummi nach dem Sex schafft nun mal nicht dasselbe Bild wie eine Zigarette.
Eine Hand hält eine Zigarette in den Himmel.

4. Raucherglück («Im Nikotin-Museum»)

Raucher gehen nur selten ins Museum. Es irrt jedoch, wer glaubt, dies habe mit dem Rauchverbot in diesen Institutionen zu tun – selbst wenn es zutrifft, dass gerade ein solches Verbot den Raucher stärker trifft als alle zehn Gebote von Vater Moses. Raucher sieht man aber vor allem deshalb nur selten in diesen Häusern, weil sie selbst, sieben Tage in der Woche, ein ganz eigenes Museum mit sich herumführen: ihr Nikotin-Museum nämlich.

All die schönen Momente im Leben eines Rauchers werden stets mit einer Zigarette gefeiert: ein gutes Essen, eine überstandene Prüfung, ein Sonnenuntergang am Meer, guter Sex und getane Arbeit oder umgekehrt. In diesen Momenten entstehen die prächtigsten Bilder voller Grösse und Romantik, voller Lust und Lebensfreude, die dann, von der Zeit zusätzlich mit einem goldenen Rahmen versehen, auf den Wänden des Nikotin-Museums landen. Nun bietet das Leben ja leider nur wenige Momente dieser funkelnden Art. Die meisten Stunden und Minuten sind eher mittelmässig, manche auch anstrengend, fade, hohl etc. In all diesen weniger schönen Momenten aber hat der Raucher die Möglichkeit, sich eine Zigarette anzustecken: Und kaum kringelt sich da der erste Rauch, tritt auch schon ein Teil des Rauchers in das Nikotin-Museum ein – egal in welcher Klemme oder Belanglosigkeit der grössere Rest des paffenden Menschen auch feststecken mag. Und während das Nikotin ins Blut eindringt, schreitet der Raucher in seinem Nikotin-Museum das Spalier seiner Heldenepen und Romanzen, Bacchanalien und Elegien ab - um hernach, erfrischt, wieder ganz in die Mittelmässigkeit des Alltags einzusinken.

Dass es nur schöne und wärmende Bilder sind, die in die Sammlung des Nikotin-Museums aufgenommen werden, dafür sorgt ein Museumsdirektor namens Lustprinzip – unterstützt von seinem Generalkommissar, der Tabakwerbung, die Milliarden dafür ausgibt, dass die Bildinhalte positiv bleiben. Nun können uns aber auch wärmende Bilder traurig stimmen – namentlich wenn sie mit dem Gedanken der Eitelkeit verknüpft sind. Was längst vorbei ist oder im nächsten Moment vorbei zu sein droht, stimmt uns Menschen traurig - auch weil sich in allem Vergehen unsere eigene Endlichkeit abzeichnet. Die Bilder im Nikotin-Museum aber sind nicht chronologisch gehängt: Während uns das Leben im Alltag davon fliesst, wie schon Heraklit konstatierte, werden die Bilder im Nikotin-Museum aus irgendwelchen Gründen vom Zahnstein der Zeit verschont. Das mag mit der Werbung zu tun haben, die uns ewige Jugendlichkeit vorgaukelt. Wahrscheinlich aber hat es doch viel eher damit zu tun, dass wir unser Nikotin-Museum so oft besuchen und gar nicht merken, wie es sich verändert (ein starker Raucher verzeichnet immerhin rund 15'000 Museumseintritte pro Jahr).

Das Nikotin, das uns mehrmals pro Tag daran erinnert, dass nun wieder eine museale Erfrischung nötig wird, ist also eigentlich eine wunderbare Sache, ein optimales Mittel gegen Trübsal und Stress - ein Pestizid gegen jede Laus, die uns über die Leber laufen will. Und der blaue Rauch selbst breitet sich vor der immer drohenden Leere unseres Daseins wie eine Leinwand aus, auf die wir die schönsten Bilder projizieren. Kein anderes Museum leistet das für den Menschen, was ein Nikotin-Museum kann - und darüber hinaus kriegt man die Eintrittskarten auch noch für wenig Geld an jedem Kiosk. - Einen kleinen Schönheitsfehler aber hat diese rauchige Bildergalerie: Glaubt man nämlich den Gesundheitsbehörden und Ärzten, dann sollen - all diesen positiven Effekten zum Trotz - allzu häufige Besuche im Nikotin-Museum der Gesundheit eher abträglich sein. Ersatz für den blauen Dunst ist also gefragt, doch der ist schwer zu finden. Denn ein Kaugummi nach dem Sex schafft nun mal nicht dasselbe Bild wie eine Zigarette. Genauso wenig mag man nach einem guten Essen auf einem Stück Süssholz herum kauen, eine überstandene Prüfung mit einem Kamillen-Tee feiern oder zum Sonnenuntergang am Strand von Kreta eine rohe Karotte knabbern. Und doch müsste es irgendwie möglich sein, die wunderbaren Art, wie das Nikotin-Museum zustande kommt und zur Erhellung unseres Alltags genutzt werden kann, auch mit Mitteln zu bewerkstelligen, die uns weniger abträglich sind als der Tabak. Die Behörden und Ärzte haben da bisher keine Lösung gefunden – vielleicht aber gelingt es der Kunst, als dem Museums-Medium schlechthin, hier Alternativen zu finden.

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 22. Mai 2003, Nr. 21 / S. 21.

Ein starker Raucher verzeichnet rund 15‘000 Museumseintritte pro Jahr.
Eine Hand hält eine Zigarette über ein Auto.