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In seiner 7. «WoZ»-Kolumne vom 27. November 2003 denkt José Maria darüber nach, was wohl wirklich richtige Kunst ist.
Japanischer Gärtner kauert über einem Moosfeld.

7. Echte Werte («Die Sprache der Kunst»)

Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, brach mir der Schweiss wie salziges Eiswasser aus allen Poren hervor. Marianne Burki, die Kuratorin des Kunsthauses Langenthal, hatte mich angefragt, ob ich in meiner Eigenschaft als Artist-in-Residence auch an der kommenden Jahresausstellung teilnehmen wolle. Ich hatte zugesagt und versichert, dass ich für einmal nicht irgendeine konzeptuelle Staubigkeit präsentieren würde, sondern richtige Kunst. Richtige Kunst? Das war gut. Nur, was war richtige Kunst? Ich eilte nach Bern in die Bibliothek des kunsthistorischen Instituts, die um eine Antwort auf meine Frage ja wohl kaum verlegen sein würde. Eine freundliche Assistentin half mir bei der Navigation und also fand ich mich wenig später an einem Tisch wieder, auf dem sich mehrere Dutzend prinzipieller Abhandlung en türmten. Ich wusste nicht recht, mit welcher Grundlegung ich beginnen sollte, und besorgte mir deshalb zunächst einmal ein grosses Stück Schokoladekuchen. Nach dessen Verzehr war ich allerdings dann so müde, dass ich mich zu einem kleinen, biblio philen Nickerchen hinreissen liess – durch den Bücherberg gut vor fremden Blicken geschützt.

Ich träumte von einem japanischen Teegarten, in dem ich vor einiger Zeit ein altes Männchen gefilmt hatte, das mit einer Engelsgeduld an dem moosigen Boden herumzupfte. In der Hocke, die Oberarme auf den Knien abgestützt, war der kleine Gärtner kaum grösser als die eigenartige Schaufel neben ihm, in welcher er das ausgerissene Unkraut deponierte. Ich hatte mich damals gefragt, ob der Mann wohl das Moos wachsen höre - so konzentriert schien er bei der Arbeit. In meinem Traum nun formte der Boden tatsächlich eine Vielzahl von Mündern, die alle auf den Mann einzureden begannen - auf Japanisch allerdings, so dass ich kein Wort verstand. Ich wachte auf und wusste: Richtige Kunst ist Kunst, die dem Betrachter etwas zu sagen hat, die zu ihm spricht - ganz so wie der Garten in meinem Traum, der ja als Zen-Garten auch ein Kunstwerk war. – Wenn ich also für die Ausstellung in Langenthal richtige Kunst machen wollte, dann musste ich bloss ein Objekt anfertigen, das auch etwas zu sagen hatte. Das schien mir nicht sehr schwierig - ein kleines Problem allerdings blieb: In welcher Sprache sollte das Kunstwerk reden? Natürlich lag die Antwort nahe, dass das Werk in der Sprache der Kunst kommunizieren müsse. Bloss was war das für eine Sprache? Eine Art Japanisch, das man zwar hörte, jedoch nicht verstand? - Solange ich das nicht wusste, konnte ich allerdings auch kein verlässlich richtiges Kunstwerk anfertigen. Denn wie sollte ich unter diesen Umständen sicher sein, dass das von mir Geschaffene auch tatsächlich zum Betrachter sprach – und ihn nicht etwa trotzig anschwieg? 

Ich verliess meine Bücherburg und schritt den Regalen entlang – vielleicht in der Hoffnung, dass mir die Masse des Geschriebenen eine Lösung für mein Problem anbieten würde. Nun zweifelte ich ja nicht wirklich daran, dass mein Kunstwerk zum Betrachter sprechen würde – es war bloss so, dass ich gerne sicher gewesen wäre. In solchen Dingen bin ich nämlich misstrauisch. Beobachte ich doch auch all jene Zeitgenossen mit einer Mischung aus Skepsis und Neid, die sich in Pullovern mit chinesischen oder japanischen Schriftzeichen durch die Welt bewegen: Wie können die sicher sein, dass da nicht Unvorteilhaftes, ja Peinliches steht – in der Art von «Ich putze mir abends die Zähne nicht»? Ich male mir dann jeweils aus, wie ich mit einem solchen Pullover einem Chinesen begegne, und der schüttet sich aus vor Lachen, weil da weiss Gott was auf meiner Brust steht.

Ausschüttung? Natürlich, das war die Lösung. Tatsächlich war mir die Antwort hier in der grossen Bibliothek ja die ganze Zeit meterweise vor Augen gestanden: Hat die Kunst denn nicht verlässlich zum Betrachter gesprochen, wenn dieser auf das Werk reagiert, wenn er seinerseits spricht, einen Kommentar abgibt? Deshalb doch all die Bücher: Sind sie nicht der Beweis für das Sprechen und also für die Richtigkeit der Kunst, von der sie handeln? Diese Kommentare, so dämmerte es mir nun, waren wohl überhaupt der einzige Zugang zu der Sprache der Kunst: Keine Übersetzungen dieser Sprache, doch auf eine gewisse Weise Abbilder von ihr, formuliert im Dialekt der Kommentatoren. So gesehen gab wohl auch der kleine Gärtner allein schon mit seiner Körperhaltung einen Kommentar zu dem japanischen Teepark ab. Und das wiederum bedeutete, dass er das Moos wohl wirklich wachsen hörte. Oder etwa nicht?

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 27. November 2003, Nr. 48 / S. 25.

Zugleich mit dieser Kolumne entsteht auch das Video «Die Sprache der Kunst», das nach dem Erscheinen des Textes im Rahmen der 6. Jahresausstellung der Oberaargauer Künstlerinnen und Künstler (4. Dezember 2003 bis 11. Januar 2004) im Kunsthaus Langenthal gezeigt wird.
Ausstellungsansicht Langenthal - mit TV-Gerät im Vordergrund.